Lindner, Julius Philipp
Pianofortefabrik in Stralsund, 1825 – 1929
Julius Lindner sen. „erfindet 1847 die Bogenklaviatur mit leicht schräg stehenden Tasten im Diskant und im Bass, sie kann sich jedoch trotz einer späteren Neuauflage durch Neuhaus in Calcar nicht durchsetzen“. (Henkel)
Patent von 1865: „Dem Pianoforte-Fabrikanten J. P. Lindner in Stralsund ist unter dem 20. April 1865 ein Patent auf eine durch Zeichnung und Beschreibung nachgewiesene Stimmvorrichtung für Pianofortes, ohne jemand in der Anwendung bekannter Theile zu beschränken, auf fünf Jahre, von jedem Tage an gerechnet und für den Umfang des preußischen Staats ertheilt worden.“ (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf 06/06/1865)
Der Sohn Julius Lindner, geboren 1839, übernimmt mit dem 1. Juli 1869 die Firma unter „J. P. Lindner Sohn“ die Pianofabrik.
Anzeige aus Sandler Handbuch 1873:
Schon 1881 stellte J. P. Lindner & Sohn auf der Weltausstellung in Melbourne ein „dreichöriges kreuzsaitiges Pianino aus, geschmackvoll und sauber ausgeschmückt. Die Specialität an diesem Instrument ist der `Skelett-Eisenrahmen`, für welchen mancherlei Vorzüge von den Erfindern gerühmt werden“. Dafür erhielt die Firma eine Goldmedaille.
Auf der Ausstellung 1883 in Amsterdam konnten „2 Pianinos in schwarzem Nussbaum“ bewundert werden, welche ebenso mit dem `Skelett-Eisenrahmen` versehen waren und „von den Erfindern gerühmt werden“. Prämierung diesmal mit einer Silbermedaille, dazu erschien ein sehr lobenswerter Artikel:
„J. P. Lindner & Sohn in Stralsund stellen zwei feine Pianinos aus. Das eine in schwarzem Kasten ist ausserordentlich sorgfältig gebaut, dabei ist die Spielart elastisch und die Uebergänge bei der Kreuzung der Saiten kann man sich nicht schöner denken. Das andere Instrument in reich geschnitztem Nussbaum besticht durch seine prächtige, äussere Ausstattung und lässt auch in Bezug auf Ton und Spielart keine Wünsche unbefriedigt. Kurzum, die beiden Lindner´schen Pianinos sind wahre Cabinetstücke“.
Im Handelsregister von Demmin erfolgte 1894 die Eintragung der Zweigniederlassung mit dem Inhaber: „Pianoforte-Fabrikant Julius Lindner“.
Julius Lindner dachte 1894 an die Übernahme des „Geschäft seines Vaters vor 25 Jahren … Die Fabrik hat sich aus kleinen Anfängen immer weiter entwickelt und vergrößert, und der Solidität ihrer Geschäftsprincipien und der Güte ihrer Instrumente verdankt sie den guten Ruf, den sie in allen Kreisen genießt“.
Drei „sorgfältig ausgeführte Pianinos mit schönem Ton“ stellte J. P. Lindner & Sohn 1895 in Lübeck zur „Deutsch-Nordische Handels- und Industrie-Ausstellung“ aus und wurde mit einer „Goldenen Ausstellungs-Medaille“ belohnt.
„Die seit 1825 bestehende Pianofortefabrik J. P. Lindner Sohn ist Stralsund ist (1902) von dem bisherigen Inhaber Herrn Julius Lindner an den Klavierbauer Herrn Franz Eyserbeck in Stralsund durch Kauf übergegangen. … Eyserbeck wird das Geschäft unter der alten Firma mit Beihilfe des früheren Inhabers in gleicher Weise … fortführen“.
Ja, wie? 1904 hat Julius Lindner die Pianofortefabrik „wieder für eigene Rechnung übernommen und führt sie für eigene Rechnung unter der handelsgerichtlich eingetragenen alten Firma weiter“.
Der Vertreter der Lindner-Pianofabrik Otto Weber in Demmin, feierte 1909 sein 25-jähriges Jubiläum. Er erhielt „ein ehrendes Gratulationsschreiben mit einem namhaften Jubiläumsgeschenk“. Gratulation – was auch ein „namhaftes Jubiläumsgeschenk“ sei.
1910 erneute Änderung im Handelsregister: Neuer Inhaber der Pianofortefabrik in Stralsund wurde der Pianofortefabrikant Otto Schwiegershausen eingetragen. Wer war Otto Schwiegershausen? Davon später.
Ende Dezember 1910 starb im Alter von 71 Jahren Julius Lindner. „Am 16. Juni 1839 in Stralsund geboren, übernahm der nunmehr Verstorbene nach tüchtiger, wissenschaftlicher Ausbildung die von seinem Vater im Jahre 1825 gegründete Pianofortefabrik … Seine hohe musikalische Veranlagung, sein künstlerischer Sinn und sein für alle Neuerungen und Verbesserungen zugängliches Vorwärtsstreben befähigten ihn, die Fabrik derartig zu heben, daß sie bald auch außerhalb der engeren Heimat sich eines bedeutenden Rufes erfreute. Julius Lindner hatte sich erst vor kurzer Zeit von der geschäftlichen Tätigkeit zurückgezogen, nachdem er sein Geschäft … Herrn Otto Schwiegershausen aus Helmstedt käuflich übertragen hatte“.
Die Zweigniederlassung in Demmin „ist laut handelsgerichtlicher Eintragung vom 8. Mai 1917 gelöscht worden“, – nach 23 Jahren.
1925 konnte die Firma J. P. Lindner auf ein 100-jähriges Bestehen zurückblicken. Aber, – keine Feierlichkeiten, kein Artikel in der Fachzeitschrift, keine weiteren Nachrichten.
Waren schon Anzeichen eines nahen Endes spürbar?
„Über das Vermögen der Firma J. P. Lindner Sohn (Inhaber Kaufmann Otto Schwiegershausen), Pianofabrik und – handlung in Stralsund, ist am 17. Juli 1928 das Konkursverfahren eröffnet“.
Die Pianofabrik stellte vermutlich ihre Produktion ein, denn „das Konkursverfahren über das Vermögen … der Piano- und Musikalien-Handlung ist am 18. März 1930 aufgehoben worden“.
„Die Fabrik wird von Rudolf Marx, dem Klavierbauer und Hans Marx, dem Instrumentenmacher, erworben, die das Geschäft unter ihrem Namen fortsetzen: Pianofortebau Marx, R. und H. Marx“. (Henkel) Zunächst in dem Fabrikgebäude der J. P. Lindner in der Heilgeiststraße 86, später, bis zur Bombardierung der Stadt am 6. Oktober 1944 auf der Großen Parower Str. 3
Den Namen „Lindner“ gibt es wieder seit 1961, zunächst durch die niederländische Klavierfirma Rippen, eine Tochtergesellschaft in Shannon, Irland. Es waren wohl schöne Möbel, aber keine hochwertigen Instrumente. In nichts zu vergleichen mit J. P. Lindner, Stralsund.
Zurück zu Otto Schwiegershausen.
Otto Schwiegershausen kam aus Helmstedt, dort gründete er am 1. Juli 1901 eine Pianofortefabrik. „Er gedenkt ein billigeres, aber solides Fabrikat zu liefern“. Ein Jahr später erfolgte die Eintragung in das Helmstedter Handelsregister. „Angegebener Geschäftszweig: Pianofortefabrik und Musikinstrumenten-Handlung in Helmstedt, Karlstr. 28“.
Wieder ein Jahr später, 1903, trat Ernst Geyer aus Eisenberg als Teilhaber in die Firma ein mit der neuen Firmierung: „Schwiegershausen & Geyer“.
Der Exportkatalog, der 1904 versandt wurde, zeigte drei Pianino-Modelle, „welche gegenwärtig in genannter Fabrik speziell für den Export gebaut werden“. Selbstverständlich in „deutsch-englisch-französisch-spanischer Sprache gehalten“.
Am Ende des Jahres 1905 wurde ein Verkaufsmagazin in Magdeburg, Kaiserstr. 95, eröffnet. Ein Verkaufsmagazin, in dem „außer der eigenen Marke sollen noch andere Fabrikate, sowohl Pianinos und Flügel als auch Harmoniums“ verkauft werden. Kurze Zeit später erfolgte die handelsgerichtliche Eintragung.
Dazu erschien „der neue illustrierte Katalog“, welcher „die Abbildungen der gangbarsten Modelle von 8 Pianinos zeigte. Zum Schlusse folgte eine kurze Anweisung über die Behandlung und Pflege des Pianos. … die Vorderseite des Umschlages zeigt in Reliefpressung zwei tanzende weibliche Figuren, die eine Rosenkette über Handelsmarke und Firma halten“. Ein wohl bekanntes Motiv.
Haben etwa die „zwei tanzenden weiblichen Figuren“ verhindert, dass auf der „Jubiläumsausstellung des Vereins Braunschweiger Gastwirte“ 1906 die Firma nur „lobende Anerkennung“ erhielt, während die höchste Auszeichnung „Ehrenpreis und die goldene Medaille“ an ihnen vorüberging?
1907 wurde über das „Vermögen der Pianofortefabrik … das Konkursverfahren eröffnet“, Zahlungseinstellungen – Zwangsvergleich – im März 1908 wurde das Konkursverfahren aufgehoben.
Wie weiter? Das Konkursverfahren war eine Katastrophe, aber es kam noch viel schlimmer:
„Am 5. März (1909) brach im Fabrikgebäude … ein Brand aus. Der Besitzer selbst bemerkte das Feuer, … nachdem der Raum erst kurz zuvor von den Arbeitern verlassen war, zuerst und alarmierte sofort telephonisch das Kommando der Feuerwehr, die schnellstens eintraf. Der Herd des Feuers war in dem Parterregeschoß des an der Conringstraße gelegenen Flügels. Das entfesselte Element fand an dem großen Vorrat von leicht brennbaren Stoffen (wie trockenes Holz, Späne, Polituren, Öle u. dgl.) reichlich Nahrung. Die Flammen ergriffen schnell auch das Obergeschoß und legten den ganzen Gebäudeflügel bis auf die Umfassungsmauern in Asche; der nördliche Giebel mußte später von der Feuerwehr wegen Einsturzgefahr, soweit angängig, niedergerissen werden. Der tatkräftigen Hilfe der Feuerwehr gelang es, den Brand zu lokalisieren, so daß das anstoßende Wohnhaus nebst Lagerhaus, sowie die Stallgebäude erhalten blieben. Von den in Arbeit befindlichen Klavieren konnte ein Teil gerettet werden, ein Teil jedoch wurde ein Opfer der Flammen. Auch sämtliche Maschinen, Handwerkszeuge, rohe und bearbeitete Materialien und Zubehörteile sind ein Raub der Flammen geworden. Über die Entstehungsursache des Feuers konnte noch nichts festgestellt werden“.
Sachverständige für Brandursachenermittlung, einschließlich Versicherungsvertreter, werden intensiv nach der Brandursache geforscht haben.
Wie nun weiter, wenn so ziemlich alles dahin ist? —
Otto Schwiegershausen suchte sich eine neue Wirkungsstätte: In Stralsund, so die Eintragung im Handelsregister, wurde 1910 „bei der Firma J. P. Lindner Sohn, … als neuer Inhaber der Pianofortefabrikant Otto Schwiegershausen … eingetragen“.
Produktionszahlen der Pianofabrik J. P. Lindner sind nicht bekannt, möglicherweise wurden bis 15.000 Instrumente hergestellt.
Herzlichen Dank dem Musikhaus Peter Sitte, Stralsund, für die Bereitstellung der Bilder und Anzeigen.