Görlitzer Pianofabriken
Instrumentenbauer, Piano-Handlungen, Pianofabrik, Pianofortefabrik – wer baute kurz vor der Jahrhundertwende 1899/1900 und die Zeit danach in der Schlesischen Neißestadt, mit damals ca. 80.000 Einwohnern, Klaviere?
Pflüger, Paul
Pianofortefabrik in Görlitz-Berlin, 1883 – 1891
In den Görlitzer Adressbüchern von 1883 bis 1886 ist Paul Pflüger als Instrumentenbauer, aber auch als „Pianofortefabrik“ auf der Bautznerstr. 17 geführt. In der damaligen Zeit wurde manche größere Wohnstube schon als Pianofortefabrik bezeichnet. Um 1887/88 versuchte Paul Pflüger sein Glück nicht mehr an dem Ufer der Neiße, sondern an den Ufern der Spree. 1889 existierte die „Pianofortefabrik“ von Paul Pflüger in Berlin, zunächst in der SO Manteuffelstraße, später auf der N Kastanien-Allee 52, kurze Zeit später wieder Umzug nach O Memelerstr. 30. Nachweislich aber auch nur bis 1890/91. Innerhalb von acht Jahren wechselte Paul Pflüger seine Wirkungsstätte mehrfach. Klaviere mit seinem Namen hinterließ er sicherlich nicht.
Grunwald, Paul
Pianofortefabrik, 1888 – 1891
Um 1888 entstand auf dem Jüdenring 10 (heute Hugo-Keller-Straße) nach den Görlitzer Adressbüchern die „Pianofortefabrik“ von Paul Grunwald. Kurze Zeit später folgte der Umzug nach Blumenstraße 29. War es der großartige Name „Pianofortefabrik“, waren es familiäre Unstimmigkeiten, das Geschäft lief nicht wie erdacht. Das Konkursverfahren über das Vermögen von Paul Grunwald wurde schon am 18. März 1890 eröffnet und am 19. Febr. 1891 aufgehoben. Inzwischen war ja Frau Anna Alwine Grunwald von ihrem Paul geschieden.
Paternoster, Wilhelm
Pianofabrik, 1888-1911
Ein eigenartiger Name für eine Pianofabrik. „Paternoster“, übersetzt: Vaterunser, oder Paternoster als ein Transportsystem, genannt Beamtenbagger.
Aktion – wie heutzutage im Supermarkt – waren in der Klavierbaubranche nicht unbekannt. Aktion – oder doch Schwindel? „Wie wenig skrupulös so manche Klavierhändler in ihrer geschäftlichen Reklame sind, das ist schon viele Male in den Spalten dieser Zeitschrift (Zeitschrift für Instrumentenbau) an Beispielen klargelegt worden. Leider mehren sich die Fälle von Preisschleuderei und Unterbietung der Konkurrenz in immer bedenklicherer Weise, und die Verhältnisse in unsrer Branche werden dadurch immer mehr gedrückt“.
Einen Verein, der zwar noch gegründet werden musste, der sich aber gegen „Schleuderei und Unwesen in unserer Branche“ wendet, wollte W. Paternoster 1888 beitreten.
Wie aber, wenn Paternoster 1895 folgendes Inserat verbreitete:
„Pianinos, Flügel, Harmoniums, wenig gebraucht, Blüthner, Bechstein, Estey, Heyl, Hooff, Ibach, Irmler, Kaps, Rönisch, Schwechten, Schmidt etc., sind zu billigen Preisen zu haben, Theilzahlung gestattet. Wie ich höre, belieben manche Konkurrenten auszusprechen, ich hätte zu hohe Preise. Ich bitte, solchen Unsinn nicht zu glauben. Um nun aber den mich beehrenden Herrschaften zu beweisen, dafs mein Geschäft in jeder Weise leistungsfähig ist, habe ich die Preise 10% unter dem Fabrikpreise notirt. W. Paternoster, Görlitz, Berlinerstr. 6.“
Seine Daten nach den Görlitzer Adressbüchern:
1888: Paternoster, Wilhelm, Pianoforte- und Harmonium-Haus … Mittelstraße 11
1893: Paternoster, Wilhelm, Musikhaus, … Berlinerstr. 6
1902: Paternoster, Wilhelm, Musikhaus … Inhaber Wilhelm und Fritz Paternoster …
„Herr Wilhelm Paternoster, Musikalien- und Instrumenten – Händler in Görlitz wurde 1902 zum Großherzoglich Sächsischen Hoflieferanten ernannt“.
„1905 wird die Firma als Pianofabrik und -handlung bezeichnet und erhält auf der Ausstellung Görlitz 1905 ein Ehrendiplom für zwei eigene Pianinos“. (Henkel)
Wie viel hat er selbst gebaut? Von den vielen von ihm vertriebenen Firmen durfte er – der Kaufmann und Pianofortehändler – seinen Namen in die Instrumente anbringen.
Seriennummern, soweit sie in „seinen“ Instrumenten zu finden sind, könnten Auskunft geben.
„Der Kaufmann Fritz Paternoster ist 1912 als alleiniger Inhaber der Firma W. Paternoster, Musikal.-, Piano- und Musikinstrumenten-Handlung in Görlitz, eingetragen worden“.
„Über den Nachlaß des am 2. April 1916 an seinem Wohnsitze in Görlitz verstorbenen Kaufmanns Georg Paul Friedrich — genannt Fritz — Paternoster, Inhabers der Firma W. Paternoster, Piano-, Harmonium- und Musikinstrumenten-Handlung in Görlitz, ist … das Konkursverfahren eröffnet worden“.
Kurze Zeit später „ist nach erfolgter Abhaltung des Schlußtermins und Verteilung der Konkursmasse das Konkursverfahren aufgehoben worden“.
Im Handelsregister wurde am 1917 die Firma W. Paternoster, Pianohandlung in Görlitz gelöscht.
Frau Elisabeth Paternoster, die Witwe des Fritz Paternoster in Görlitz, eröffnete 1916 eine Musikalien- und Musikinstrumenten-Handlung, die letztmalig 1933 nachweisbar ist.
Eichler, Carl
Pianofortefabrikant, 1889 – 1896
nach den „Weltadressbüchern der Musikinstrumenten-Industrie“ galt er als Pianohändler. In den Görlitzer Adressbüchern ist er zunächst als Instrumentenbauer, später, 1896, als Pianoforte-Fabrikant und „alleinige Fabrik von Görlitz und Umgebung“ verzeichnet.
Maetzke & Sohn, Eduard
Pianofabrik, 1895 – 1937
Eduard Mätzke (später Maetzke) begann 1862 seine Tätigkeit als Musiklehrer.
1886 gründete er das „Eduard Maetzke, Central-Pianoforte-Magazin“.
„1895 nimmt Eduard Maetzke seinen ältesten Sohn Friedrich als Teilhaber auf, der sofort mit dem Bau eigener Pianinos beginnt. (Für die Instrumente mit doppeltem Resonanzboden hat er das DRGM 45632 und das englische Patent 13526 – Nachweise hierfür fehlen.)
Am 3. Nov. 1896 erwirbt Eduard Maetzke die Fabrik des wenige Wochen vorher verstorbenen Carl Hustedt, … er firmiert jetzt E. Maetzke & Sohn. Friedrich übernimmt die Fabrik in Bautzener Straße 56, während Eduard Maetzke weiterhin die Handlung in Konsulstraße 63 leitet.
Eduard Maetzke stirbt am 27. April 1897 im Alter von 67 Jahren, die Handlung geht jetzt auf seine Witwe Ottilie Maetzke über“ (Henkel)
Bericht von der „Oberlausitzer Gewerbe-Ausstellung in Zittau“ von 1902:
„Die Görlitzer Pianoforte-Industrie wird durch die Firma E. Maetzke & Sohn würdig repräsentirt.
Ihre Ausstellung legt beredtes Zeugniß ab für die bedeutsame Höhe, der diese Firma in der Zeit ihres 40-jährigen Bestehens entgegengestrebt hat. … Das Fabrik-Geschäft wurde von Jahr zu Jahr vergrößert, da das Fabrikat Maetzke von allen Seiten Anerkennung fand. Diese Anerkennung wird durch den wachsenden Umfang der jährlichen Fabrikation und durch die stete Erweiterung des Absatzgebietes dokumentirt. Die ausgestellten Pianos von Maetzke & Sohn lenken durch ihre hübsche und elegante Bauart, durch ihre vornehme und gediegene Erscheinung, durch die Sorgfalt, welche auf ihre Ausführung und Ausstattung verwendet ist, schon äußerlich die Aufmerksamkeit auf sich. Sämmtliche Modelle sind in sehr geschmackvollem Styl gehalten; einige unter ihnen müssen als kunstgewerbliche Leistungen ersten Ranges bezeichnet werden. Die Firma, welche die Entwürfe von ersten künstlerischen Kräften anfertigen läßt, verwendet nur ausgesucht schöne, gut gelagerte Hölzer, welche durch ihre Zusammenstellung gegenseitig ihren vollen Reiz entwickeln. Die Pianos werden matt und blank in allen jetzt beliebten Holzarten hergestellt. Salonstücke von besonderer Schönheit sind ein Piano im Jugendstyl, Prima-Vera, ein anderes in englischem Styl, Alt-Mahagoni mit Messing-Einlagen. Besonders effektvoll wirkt unter der stattlichen Gruppe der ausgestellten Instrumente ein Piano (Jugendstyl) in silbergrauer Ausführung. Aber so hoch geschmackvoller Bau und prächtige Ausstattung auch einzuschätzen sind, erst als Muster technischer Vollendung stellen die Maetzke`schen Instrumente ihren ganzen Werth dar. Alle Pianos dieser Fabrik sind kreuzsaitig und mit voller, den Stimmstock umfassender, schön verzierter und fein lackirter Eisenplatte ausgestattet. Besonders hervorgehoben zu werden verdienen die sich vorzüglich bewährenden neuesten Unterdämpfungs-Repetitions-Mechaniken, die mit regulirbarer Repetitionsfeder versehen sind. Alle Theile sind aus bestem Material hergestellt und sämmtliche Instrumente mit feinster Elfenbein- Klaviatur versehen. Die Gesammt-Konstruktion zeigt die größte Präzision und Solidität. Der musikalische Werth … erhellt u. A. aus einem vorzüglichen Zeugnifs, das der königliche Musikdirektor und Direktor des königlichen Domchores zu Berlin, Hermann Prüfer, ihnen ausstellte. Er bezeichnet den Toncharakter der Instrumente als edel und gesangreich, hebt die elastische und schöne Spielart hervor, sowie die tadelfreie Repetition und ausgezeichnete Stimmhaltung. Das Arrangement des Maetzkeschen Ausstellungsstandes wirkt in seiner vornehmen Einfachheit recht anziehend und wird mit Aufmerksamkeit besichtigt. … Unter den 8 Instrumenten befindet sich eines mit angehängtem Orgelpedal C—d1. … Die neuesten Unterdämpfungs-Repetitions Mechaniken sind aus der Piano-Mechanik-Fabrik von Ad. Lexow in Berlin geliefert, und die Erfindung der regulirbaren Feder ist Herrn Franz Petermann (i. Fa. Ad. Lexow) in Berlin persönlich geschützt “.
Zu dieser Ausstellung erhielt die Firma eine goldene Medaille und das Diplom zur goldenen Ausstellungsmedaille.
In einer neuen Preisliste zeigte die Firma 1903 „zehn stilvolle Pianino-Modelle“.
„ Am 1. März 1905 übernimmt Friedrich Maetzke Fabrik und Handlung auf eigene Rechnung als Alleininhaber. Er vereinigt zum 1. Aug. 1906 die beiden Geschäfte und firmiert jetzt »Eduard Maetzke, Görlitzer Pianofortefabrik und Handlung«. … Zum 1. April 1908 wird die Fabrik nach Heiligen-Grab-Straße 69 in größere Räume verlegt, Kontor und Handlung bleiben in Konsulstraße“. (Henkel)
„Die Hof-Pianofortefabrik von C. Bechstein hat 1912 ihre Allein-Vertretung für Zittau und Umgebung der Firma Eduard Maetzke … übertragen, … die Görlitzer Allein-Vertretung der Firma C. Bechstein bestand schon seit mehr als 30 Jahren.
Bericht zum 60-jährigen Bestehen des Unternehmens.
„1912 konnte die Firma Eduard Maetzke, Görlitzer Pianofortefabrik und -Handlung, auf ihr 60-jähriges Bestehen zurückblicken. Die Firma, welche von dem leider viel zu früh verstorbenen Herrn Eduard Maetzke gegründet wurde, erfreute sich schon in den ersten Jahren ihres Bestehens eines lebhaften Zuspruchs, eine Folge der soliden Geschäftsführung ihres Inhabers und der Güte der von ihm geführten Instrumente. Der Umsatz wurde von Jahr zu Jahr größer, und dementsprechend erweiterte sich auch der Geschäftsbetrieb. Um allen Anforderungen genügen zu können, wurde vor etwa 16 Jahren (1895), neben der Vertretung erstklassiger Klaviermarken, die eigene Fabrikation eingerichtet, deren Erzeugnisse sich dank ihrer soliden Bauart und Preiswürdigkeit eines guten Absatzes erfreuen. Möge die Firma auf der Bahn soliden Schaffens auch in Zukunft blühen und gedeihen“.
„Eine recht geschmackvoll ausgestattete neue Preisliste … hat soeben die Firma Eduard Maetzke … zum Versand gebracht. Das hübsche Heft … bietet auf 24 Seiten eine Auswahl von 19 Pianino-Modellen in durchweg gediegenen, modernen Entwürfen, die durch schöne und klare Autotypien im Bilde wiedergegeben werden. Eine Innenansicht zeigt die Bauart und die Mechanik der Instrumente, während vier abgedruckte Urteile den Maetzke Pianinos ein recht anerkennenswertes Zeugnis ausstellen“.
Eine hohe österreichische Auszeichnung für Tapferkeit wurde 1914 dem Inhaber der Firma Eduard Maetzke, dem Hauptmann und Kompagnieführer im Preuß. Landwehr-Infanterie-Regiment 6 zuteil, indem ihm das österreichische Militär-Verdienstkreuz mit der Kriegsdekoration verliehen wurde.
Die Firma Eduard Maetzke, Görlitzer Pianofortefabrik und -handlung in Görlitz, blickte 1928 auf ihr 65-jähriges Bestehen zurückblicken.
Aus dem Nachruf für Friedrich Maetzke:
„Nach außerordentlich schwerem Leiden verstarb in der Nacht zum 8. September 1931 Herr Pianofortefabrikant Major d. R. a. D. Friedrich Maetzke, Inhaber der Firma Eduard Maetzke. Einer alten Görlitzer Familie entstammend, wurde er am 7. August 1870 zu Görlitz geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Görlitz und die Realschule zu Bautzen. Er ergriff dann den kaufmännischen Beruf und erweiterte nach beendeter Lehrzeit seine Kenntnisse durch längere Tätigkeit in führenden deutschen Firmen. Als im Jahre 1897 sein Vater starb, übernahm er die Leitung der 1862 gegründeten Firma, deren alleiniger Inhaber er im Jahre 1905 wurde. Seiner Dienstpflicht genügte er als Einjährig-Freiwilliger von 1892 bis 1893 beim Infanterie-Regiment 19 in Görlitz und erhielt 1912 die Beförderung zum Hauptmann. Bei Kriegsausbruch rückte er mit einem neuaufgestellten Regiment ins Feld. Im November 1914 kehrte er verwundet zurück, um dann wiederum an die Front zurückzukehren. … Seiner im Jahre 1897 geschlossenen Ehe entsprossen zwei Kinder. Der einzige Sohn rückte als Kriegsfreiwilliger ins Feld und starb als Offizier im März 1918 den Heldentod. Schwer nur war dieser Verlust zu überwinden. … Seine stete Hilfsbereitschaft und sein offener Charakter werden ihn unvergessen machen. Es war nicht Friedrich Maetzkes Art, selbst in den Vordergrund zu treten. Und diese Bescheidenheit gewann ihm unzählige Freunde, die mit den Familienangehörigen um den Verstorbenen trauern … Der Verstorbene hatte es vermocht, das Unternehmen aus kleinen Anfängen zu seiner heutigen Bedeutung emporzuführen und ihm weit über Schlesiens Grenzen hinaus Ansehen zu verschaffen. Die Vertretung erster Firmen, wie Bechstein und Blüthner, die Auszeichnungen auf Ausstellungen und die Gutachten von Künstlern und Käufern, sowie die Zahl von ca. 5000 verkaufter Instrumente beweisen die Wertschätzung, die man der Firma und ihren Instrumenten entgegenbrachte. … Das ganze Leben des kürzlich Verstorbenen war unermüdliche Arbeit, strenge Rechtlichkeit und Festhalten an der Qualität selbst in Kriegs- und Inflationszeiten. Sein Erbe wird in der altbewährten Weise von Frau Carola Maetzke unter Beistand der langjährigen Mitarbeiter und unter Leitung der Prokuristin Frau Felicitas Maetzke weitergeführt werden“.
„Felicitas ist die einzige Tochter und Erbin. Im März 1937 geht die Firma auf Friedrich Beier über, er firmiert »Eduard Maetzke, Görlitzer Pianoforte-Fabrik und Handlung, Inh. F. Beier«, zugleich erlischt die Prokura von Felicitas Maetzke“. (Henkel)
Bis zum Ende der Firma wurden ca. 7.400 Instrumente verkauft.
Quellen:
Weltadressbücher der Musikinstrumenten-Industrie
Görlitzer Adressbücher
Bilder:
Soldan, Johannes
Klinkicht, Uwe
Lieverbeek