Liehr, Franz
Pianofabrik in Liegnitz, 1871 – 1945
Liegnitz, heute Legnica, war die Hauptstadt Niederschlesien.
Seit 1806 ist Klavierbau in Liegnitz nachweisbar und 1871 gründet Franz Liehr mit dem Teilhaber Julius Schwabe die Pianofabrik: Geister & Schwabe. Sie stellten 1881 Ihre Instrumente auf der Breslauer Ausstellung aus: „… sie haben ein schwarzes gradsaitiges und ein Nussbaum-Pianino ausgestellt. Beide Instrumente haben gute angenehm leichte Spielart und vollen Ton. Die Intonirung ist recht gelungen. Wir finden die Preise 1000 und 1200 Mark nicht zu niedrig“.
Im gleichen Jahr trennten sie sich und jeder führte seine eigene Firma.
„Am Morgen des 6. Juli (1888) brach in der Pianofortefabrik von Franz Liehr in Liegnitz ein Schadenfeuer aus, welches an der Verschalung zwischen Dach und Decke in der Nähe des Schornsteins entstanden war. Der Schaden beläuft sich auf 5000 Mk., welche Summe von der Versicherungsgesellschafft voll gezahlt wird. Eine Geschäftsstörung ist nicht eingetreten, da die Arbeiter, die nicht mehr gestellt werden konnten, sofort eine Werkstätte im Nachbargrundstück zur Verfügung stand. Die Fabrikation nimmt somit ihren ungestörten Fortgang“.
Zur Erweiterung der Fabrikation verlagerte Liehr 1889 seine Pianofabrik auf die Goldbergerstr. 6, aber schon vier Jahre später wieder Umzug auf sein eigenes Grundstück Piastenstraße 7.
Einen dreisprachigen Katalog von 1893 zeigte neun Ansichten von Pianinos und auch eine Ansicht der Fabrikanlage. 1898 erschien eine neue Preisliste: „Die Lichtdruck-Illustrationen, die uns eine Ansicht der Fabrik, 8 Pianino-Modelle und eine Innenconstruction vorführen, zeigen eine äußerst klare, saubere Ausführung und beweisen, daß die photographische Reproduction (Lichtdruck, Autotypie u. s. w.), wenn sie gut ausgeführt ist, sich zu einer naturgetreuen Wiedergabe von Klavierinstrumenten, Fabrikgebäuden u. s. w. ganz vorzüglich eignet“.
Das neue Jahrhundert erlebte Franz Liehr nicht mehr, bereits im Alter von 59 Jahren starb er am 13. Mai 1899 „nach kurzem, schwerem Leiden“.
„Die Pianofortefabrik von Franz Liehr in Liegnitz ist nach dem Tode ihres Begründers auf dessen Sohn und langjährigen Mitarbeiter Herrn Bruno Liehr und die drei Schwestern des letzteren: Klara, Anna und Clotilde Liehr mit allen Aktiven (einschließlich des Grundstücks) und Passiven übergegangen und wird in unveränderter Weise unter gleicher Firma fortgeführt. Die Firma wird von Bruno Liehr und Klara Liehr gezeichnet“.
Moderne Pianino-Gehäuse von Liehr werden wie folgt beschrieben:
„Die moderne Richtung, die sich im Kunstgewerbe in neuester Zeit geltend macht und mit den althergebrachten Stylarten vollständig bricht, macht auch im Klavierbaue, soweit es sich um die Ausgestaltung und Verzierung der Gehäuse handelt, immer mehr Fortschritte. … Wir sind auch heute wieder in der Lage, einen solchen modernen Entwurf wiederzugeben, und zwar handelt es sich um ein neues Modell der Pianofortefabrik von Franz Liehr in Liegnitz. Dieses Pianino, zu dessen Herstellung die Firma im vorigen Jahre durch die immer gröfser werdende Vorliebe für moderne Möbel veranlafst wurde, hat sich in kurzer Zeit über Erwarten gut eingeführt und auch in England Anklang gefunden.
Der Entwurf ist von dem Kunstbildhauer und Architekten E. A. Westermayer angefertigt, welcher sich speciell dem Studium des neuen Styls mit Erfolg gewidmet hat. Der Oberrahmen ist geschweift wie überhaupt sämmtliche Linien und Konturen weich und rund gehalten sind — und oben mit einer starken Kehlung versehen. Darunter läuft ein zart gehaltener Blattfries hin, auf dem auch die Leuchter angebracht sind. Die Füllung stellt eine auf einer Orgel spielende Frauengestalt dar; sie schliefst an den Seiten mit drei Lilien ab, während der Hintergrund Wald darstellt.
Ueber der Klappe wölbt sich ein Traillenbügel, (Traillen bezeichnet eine historische Sonderform von Stabgeländern) welcher sich bis zu den Füfsen fortsetzt. Der Unterrahmen hat drei Füllungen, von denen die Seitenfüllungen, der Oberfüllung entsprechend, gehalten sind, während die schmale aufrechte Mittelfüllung, welche mit einem Schilde für die Pedale abschliefst, einen Blumenstengel mit Blöthen und Blättern zeigt. Um die Füfse und Sockel geht eine starke Kehlung. Leuchter, Griffe und Schlüsselschild sind genau dem Uebrigen entsprechend angefertigt, wie überhaupt die ganze Ausführung bis in die kleinsten Einzelheiten korrekt und stylgemäfs ist.
Sämmtliche Schnitzereien sind in Flachrelief ausgeführt. Das Gehäuse ist aus schlichtem amerikanischem Nufsbaum hergestellt; die Friese aus hellem italienischem Nufsbaum, welcher gleichfalls ganz schlicht ist, um die ruhig und angenehm wirkende Form des Ganzen in keiner Weise zu beeinträchtigen“.
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Ein neuer Katalog, viersprachig, erschien 1905: „Er umfaßt 27 Seiten (Großoktav) und illustriert in Autotypien 15 Pianino- und 3 Flügel-Modelle, nebst 2 Innenansichten der Instrumente. Die Pianino-Modelle weisen in der Hauptzahl Entwürfe im modernen Stile auf, von der einfachsten bis zur reichsten Ausstattung. Auch 2 hochmoderne Flügelmodelle sind vorhanden“.
Dazu noch eine neues Plakat: „Die obere Hälfte nimmt auf blutrotem Grunde die Vorderansicht eines in Schwarz mit weißen Linien ausgeführten Flügels ein, über den eine zu beiden Seiten herabfallende Rosengirlande gelegt ist. Der untere Teil des Plakats trägt auf schwarzem Grunde in großen, weißen Buchstaben den Text: „Flügel- und Piano-Fabrik Franz Liehr, Liegnitz,“ während am Kopfe auf weißem Grunde in schwarzer Schrift das Gründungsjahr 1871 erscheint“.
Die Firma wurde im März 1907 zum Königlichen Spanischen Hoflieferant ernannt.
Eine Ehrung für sein 25-jähr. Arbeits-Jubiläum erhielt 1907 ein Tischler, dazu „ein ansehnliches Geldgeschenk, während ihn seine Arbeitskollegen mit anderen Gaben bedachten“.
Als persönlich haftender Gesellschafter trat 1907 der Kaufmann Paul Lehnert in das Geschäft ein.
„Zur Vertretung der Gesellschaft ist er neben Bruno und Clara Liehr ermächtigt“.
„Die Firma Franz Liehr teilt uns mit, daß am 16. November (1910) die Arbeit nach zweimonatlichem Streik von ihren Leuten bedingungslos wieder aufgenommen worden ist. … Der Betrieb ist in der Liehr’schen Fabrik somit wieder in allem Umfange aufgenommen“.
Wieder eine neue Preisliste im Jahre 1913:
Auf der Vorderseite ist in roter Prägung eine Titelvignette mit dem Text: „Liehr Flügel Pianos“ und dem spanischen Hoflieferantenwappen zu sehen. Eine „Auswahl von 6 Flügel- und 18 Pianino-Modellen … und vier Modellen von Einbaupianos, und zwar zwei Modelle des mit sämtlichen Noten spielbaren Kunstspielpiano ,,Pneumatist“ und zwei Modelle des elektrischen Pianos „Pneuma“ mit Notenauflage im Oberrahmen“.
Zum 40-jährigen Bestehen 1921 wird rückblickend das Leben von Franz Liehr gewürdigt:
„Der Gründer Franz Liehr, wurde am 12. September 1839 in Herrmannsdorf (Kreis Jauer) geboren; er entstammte einer sehr kinderreichen, keineswegs mit Glücksgütern gesegneten Familie, so daß ihm nur eine höchst einfache Erziehung zuteil werden konnte. Doch die Fähigkeiten des geweckten Knaben entgingen nicht der Aufmerksamkeit des dortigen Lehrers, der ihm denn auch, soweit es in seinen Kräften stand, durch Privatunterricht etwas mehr zuwenden konnte, als es die damalige Dorfschule zu bieten vermochte. Die Mittel des Vaters waren aber zu gering, um es dem Sohne zu ermöglichen, eine nach Höherem gerichtete Laufbahn einzuschlagen.
Mit 14 Jahren kam der junge Liehr zu einem Tischlermeister nach Peterwitz bei Jauer in die Lehre, wo er sich von dem Handwerk soviel aneignete, als es die einfachen, kunstlosen Arbeiten des Dorftischlers erlaubten. Nach Beendigung seiner Lehrzeit griff der junge Geselle zu Ränzel und Wanderstab, um nach damaligem Brauch auf die Wanderschaft zu gehen. Er fand so Gelegenheit, sich in der Welt umzusehen und in den Werkstätten, wo es etwas zu lernen gab, seine Fachkenntnisse in jeder Weise zu vervollkommnen. Seine Wanderschaft führte ihn auch nach Berlin, wo der strebsame junge Mann Gelegenheit fand, seinen Herzenswunsch zu erfüllen und sich in verschiedenen Instrumentenbau-Werkstätten gründliche Kenntnisse im Klavierbau zu erwerben. In Berlin lernte er auch seine Frau kennen, welche ihm viele Jahre als treue Lebensgefährtin zur Seite stand.
Im Jahre 1870 siedelte Franz Liehr nach Liegnitz über, wo er im Frühjahr 1871 mit ganz geringen Mitteln und unter den bescheidensten Verhältnissen eine Pianofortefabrik gründete. Zwei Teilhaber, mit denen er das Geschäft begonnen, traten schon 1881 wieder aus. Rastlos vorwärtsstrebend und mit unermüdlichem Fleiße war Franz Liehr vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend in den Werkstätten tätig, an jedem Klavier die letzte Hand anlegend. Die Liehr’schen Pianos erwarben sich durch ihren soliden Bau und ihre schöne Klangfülle immer mehr Freunde, und ihr Absatz vermehrte sich so, daß entsprechend der wachsenden Produktion die Fabrikräume stetig erweitert werden mußten. — Im Jahre 1893 wurde das neuerbaute, auf das zweckmäßigste eingerichtete, geräumige Fabrikgebäude an der Piastenstraße Nr. 38 bezogen. Leider sollte es dem Begründer des Geschäftes nicht mehr lange vergönnt sein, sich dieser neuen Schöpfung zu erfreuen; am 13. Mai 1899 rief ihn der Tod aus seinem schaffensfreudigen Leben ab, nachdem ihm schon vier Jahre früher die pflichtgetreue Gattin vorausgegangen war.
Die Firma ging nunmehr in den gemeinschaftlichen Besitz der Liehr’schen Geschwister über. Unter der Leitung von Bruno Liehr, der als Klavierbauer eine ausgezeichnete Schule genossen hatte, entwickelte sich das Geschäft so erfreulich weiter, daß sich bald darauf eine neue Erweiterung der Betriebsräume notwendig machte. Im Jahre 1907 trat ein Schwager von Bruno Liehr, Paul Lehnert, der jahrelang als Kaufmann im Auslande (Spanien, Schweiz usw.) tätig gewesen war, als Teilhaber in das Geschäft ein, und in der gemeinsamen-ersprießlichen Arbeit von Bruno Liehr und Paul Lehnert hat das Geschäft einen immer größeren Aufschwung genommen.
Schon frühzeitig pflegte die Firma mit besonderer Vorliebe und entschiedenem Erfolge den modernen Stil beim Baue ihrer Pianos. Ebenso widmet sie sich seit langer Zeit erfolgreich dem Bau von Flügeln, speziell einem kleinen Flügel von 150 cm Länge, der bei mäßigem Preise durch seinen vollen und wohlklingenden Ton überrascht. Die Liehr’schen Konzertflügel (235 cm) haben sich sehr gut eingeführt und werden von Künstlern ersten Ranges, wie Backhaus, Ansorge usw., gespielt. Die Instrumente der Firma sind mit allen technischen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattet, sie werden nur aus allerbestem, sorgfältig ausgewähltem und jahrelang erprobtem Material hergestellt und zeichnen sich durch vollendet schönen Ton, gleichmäßig leichte und ansprechende Spielart, sichere Stimmhaltung und größte Haltbarkeit aus. Mögen der Firma Franz Liehr auch im beginnenden zweiten Halbjahrhundert ihres Bestehens gleiche Erfolge beschieden sein wie in dem verflossenen Zeitraum. Wir wünschen und hoffen, daß ihr, wie der gesamten deutschen Klavierindustrie, nach Überwindung der ernsten Zeiten, denen wir entgegengehen, eine neue Blütezeit beschieden sein möge“.
10 Jahre später, zum 50-jährigen Bestehen, fügte man den vorstehen Text noch folgendes hinzu:
„Im letzten Jahrzehnt ist im Liehr’schen Betriebe nicht nur ständig an der Vervollkommnung der Fabrikationseinrichtungen, sondern auch vor allen Dingen in zäher Weiterarbeit und Studium die Qualität der Flügel und Pianos auf eine Höhe gebracht worden, die der Firma immer wieder neue freiwillige Anerkennungen von Künstlern, einer treuen Händlerkundschaft des In- und Auslandes sowie vielen Privatkäufern eintragen. Dieses Ziel ist nicht durch ausgedehnte Reklame, sondern durch eine ausgezeichnete Tonqualität der Liehr-Instrumente erreicht worden.
Möge es dem Unternehmen unter seiner zielbewußten Leitung auch weiterhin vergönnt sein, die ernsten Zeiten zu überwinden und den Ruf des deutschen Klavieres hochzuhalten“!
„Die in letzter Zeit mit einem selbsttätigen Notenaufzeichnungsapparat und einem ebenfalls gesetzlich geschützten Cembaloeinbau unter die Pioniere der Musiktechnik gegangene Liegnitzer Hofpianofortefabrik Franz Liehr bringt nunmehr (1936) auch ein neues Kleinklavier eigener Konstruktion heraus. Das Kleinklavier „O p t i m u s“ mit Panzerstimmstock ist 98 cm hoch. 136 cm breit und umfaßt 80 Töne, so daß es für jede Klaviermusik ausreichend ist. Das Nettogewicht betrügt 150 kg. Die Wirbel liegen über den Tasten frei, wodurch das Stimmen keinerlei Schwierigkeiten macht. Die Mechanik, die unter der Klaviatur liegt, läßt sich zusammen mit dieser jederzeit bequem herausnehmen. Das Instrument hat durch eine eigene Ausnutzung der Resonanzbodenfläche einen großen und schönen Ton, einschließlich des runden und straffen Basses. Der geöffnete Deckel, der beim Spielen einen Teil der Notenauflage bildet, bewirkt, daß der Ton wie bei einem Flügel voll und stark herauskommt. Das Gehäuse paßt sich geschmackvoll neuen, guten Möbelformen an. Das Instrument wird auch mit Innenbeleuchtung gebaut und dürfte sich der Reihe der neuen deutschen Kleinklaviere würdig anschließen“.
„Eine neue Innenbeleuchtung für Kleinpianos hat sich die Firma gesetzlich schützen lassen. Das leicht anbringbare praktische Zubehör fügt sich dem Kleinklavier unaufdringlich und für den Spieler vorteilhaft ein, so daß Klagen über mangelhaftes Notenlesen oder Verderben der Augen wegen schlechter Beleuchtung am häuslichen Kleinpiano durch die Neukonstruktion gegenstandslos werden. An einer als längliches Brett geformten Deckelstütze, die zur Schrägstellung des Pianodeckels und gleichzeitig als Rückhalt für die Noten dient, ist links und rechts je eine Verdoppelung angebracht.
Diese Verdoppelungen lassen sich bis zum rechten Winkel heraus klappen. An ihrer Innenseite ist je ein Beleuchtungskörper angebracht, die die Noten und Klaviatur sehr gut beleuchten, ohne den Spieler zu blenden. Beim Heraus klappen der Verdoppelungen werden die Lampen automatisch eingeschaltet und die Verdoppelungen in rechtwinkeliger Stellung festgehalten. Umgekehrt wird beim Herein klappen das Licht selbsttätig ausgeschaltet und die Beleuchtungskörper verschwinden für das Auge.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien nur eine kleine Mitteilung: „In Liegnitz starb kurz vor seiner Ausweisung Klavierfabrikant Franz Liehr, sen. Aus seiner Werkstatt gingen u. a. der auf der letzten Pariser Ausstellung mit der höchsten Auszeichnung gewertete photo-elektrische Notenaufzeichnungsapparat, ein hochwertiger Cembaloeinbau für Klaviere und ein akustisch sehr ergiebiges Kleinklavier von nur 98 cm Höhe“.
Ca. 10000 Instrumente wurden bis zum Ende hergestellt.
(1) Dank an „Brand – Klaviere und Flügel“ in Wuppertal
(2) Dank an „Pianohaus Doppelstein“ in Kassel