Maercker, Leberecht
Klavierbauer in Halle a. d. Saale, gegr. 1832 – zum 175. Jubiläum im Jahre 2007
Fängt man mit Halloren oder Halunken an? „Hallenser, Halloren und Hallunken soll man in Halle an der Saale öfter antreffen“. Diese ironisch gemeinte Kategorisierung der Einwohner Halles wird von Vielen auf Heinrich Heine zurückgeführt. Eine Recherche ergab jedoch, dass eine entsprechende Stelle in Heines Schriften fehlt (was eine mündliche Äußerung natürlich nicht ausschließt). Zu fassen ist diese Einteilung erstmals im dritten Band von Robert Moritz‘ „Halloren-Geschichten“, 1904, wo es auf S. 40 heißt:
„Geliebte! Hier kommen alle die Menschen zusammen, die dem Herrn dienen, Geliebte! Und auch die, die so tun, als ob sie ihm dienen täten. Und alle fühlen sich eins! Aber sie sind nicht eins! Sintemalen es sind Hallenser, Halunken und Halloren. […] Heutzutage werden die in Halle geborenen Menschen als Hallenser bezeichnet, während hingegen die Zugezogenen scherzhaft Hallunken genannt werden.“ (Wikipedia)
Bei der Beschreibung einer bis heute existierenden Firma treffen natürlich nur die ersten vier Buchstaben zu. Sie ist in Halle an der Saale beheimatet. Die Firma „Klavier-Maercker“ ist aber eingebunden in die Geschichte der 1201 Jahre alten Stadt. Dabei ist die älteste und bis heute produzierende Schokoladenfabrik Deutschlands mit ihren Hallorenkugeln, den süßen Kullerchen, noch etwas älter als die Klavierfirma.
Der Gründer der Firma, Leberecht Maercker, wird den damaligen Bürgermeister, Dr. Carl A. F. Mellin, zunächst als „Schultheiß“ gekannt haben. Denn erst seit 1832, dem Gründungsjahr der Firma, wurde die neue Amtsbezeichnung „Bürgermeister“ eingeführt.
Ebenfalls im Gründungsjahr der Firma, 1832, erfand Charles Babbage, ein Mathematiker, Philosoph und Erfinder aus England, ein funktionierendes Modell einer Rechenmaschine und gilt als der Vorläufer des modernen Computers.
Der Ehrenbürger der Stadt Halle, der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher, aufgewachsen in Halle, hat im Laufe seiner Tätigkeit sehr vielen die Hände gedrückt, Klaviertasten allerdings nie.
Zur Geschichte der Firma
Zunächst einen kurzen Überblick über die fünf Generationen und die Dauer ihrer Firmen:
1. Gründerbetrieb: Johann Samuel Leberecht Maercker 1832 – 1878
2. Klavierfabrik: Bernhard Maercker, Fortsetzung des Gründerbetriebes 1878 – 1907
3. Handelsgeschäft mit Service: Maercker & Co. 1893 – 1981
4. Handwerksbetrieb mit Handel: Wolfgang Maercker 1955 – 2005
5. Handwerksbetrieb mit Handel: Sabine Maercker 1996 – heute
(Römische Zahlen bezeichnen im weitern Text die Generation ab Gründer)
Der Gründer der Firma, Johann Samuel Leberecht Maercker, geboren am 25. Februar 1808 als Sohn des Zimmermeisters Leberecht Christoph Maercker, begann am 7. August 1832 auf „eigene Rechnung“ mit dem Bau von Tafelklavieren und den damals neuen aufrecht stehenden Pianos. Er stellte verschiedene Saiteninstrumente her.
Im Halleschen patriotischen Wochenblatt vom 11. Aug. 1832 fand sich folgende Anzeige:
Von den vier Söhnen des Gründers gingen zwei bei ihm in die Klavierbauerlehre: Bernhard (II, gest. 1912) und Wilhelm (II). Sie arbeiteten später in Berliner Firmen. Wilhelm (II) ging 1863 mit Heinrich Steinweg nach New York.
Sohn Bernhard (II) übernahm 1878 nach dem Tod des Gründers die Hallesche Firma und führte sie bis ca. 1907.
Hermann (II, 1846 bis 1924) gründete 1893 „Maercker & Co.“ (Co. war ein Nichtfamilienmitglied mit geringem Anteil).
1896 wurde Hermann (II) kaufmännischer Leiter in der Klavierfabrik von Bernhard (II).
1900 verlegte Hermann (II) die Verkaufsräume von Maercker & Co. in das damals neu erbaute Haus der Saale-Zeitung, Neue Promenade 1a (später Waisenhausring 1b).
Der Pianofabrikant Bernhard (II), Taubenstr. 7, eröffnete 1905 im Haus Alter Markt Nr. 3 ein Piano- und Harmonium-Magazin, in welchem er neben eigenen Fabrikaten ein Lager von Instrumenten „verschiedener besserer deutscher Firmen“ unterhielt.
1906 vernichtete ein Brand Werkstätten und Lagerräume in der Taubenstraße 7, Ursache: „[Der] in einer großen Pfanne abgekochter Lack“ fing plötzlich Feuer und setzte das in der Nähe lagernde Holz sofort in Flammen. Schaden: etwa 40.000 Mark. Danach wurde die eigene Produktion vermutlich eingestellt. Es wurden bis dahin auch schon Handelsware-Klaviere, ausgestattet mit einem Bernhard-Maercker-Schild in der Klappe, als Maercker-Klaviere verkauft. Durch ein sehr schlechtes Wirtschaftsjahr 1907 wurde die Beendigung des Betriebes wohl begünstigt.
Die fünf Söhne Bernhards (II) wurden alle Klavierbauer. Drei Söhne (u. a. Bernhard, III) gingen nach Berlin: Einer zur Firma Bechstein, einer war selbständig.
Der Kaufmann Hermann (III) 1882 – 1972, Sohn von Hermann II, trat in die Firma „Maercker & Co.“ Pianohandlung am 1. Jan. 1911 als persönlich haftender Gesellschafter ein.
Ab 1914 bis 1920 war er in Krieg und Gefangenschaft. Während dieser Zeit führten seine Frau und Hermann (II) das Geschäft bis 1926 (im Waisenhausring 1b von 1900 bis 1920).
Von 1920 bis 1926 arbeitete Hermann (III) wegen der schlechten Wirtschaftslage als Bankangestellter. Danach, wieder im Betrieb, verkaufte er viele Klaviere auf Teilzahlung an Beamte. Dadurch überstand er die Weltwirtschaftskrise (1929/30) besser als mancher Konkurrent. Aus dieser Erfahrung heraus vermietete er vor und während des Zweiten Weltkriegs ca. 100 Klaviere (Miete 6 bis 15 RM), statt sie für voraussichtlich wertloses Geld zu verkaufen! Auf Grund geringer Kriegszerstörung in Halle standen ihm diese nach dem Krieg zur Verfügung und er konnte sie nach und nach bis in die sechziger Jahre verkaufen. Das Geschäft von Maercker & Co. befand sich ab 1926 wieder im Waisenhausring 1b, ab 1939 am Joliot-Curie-Platz 1, gegenüber vom Landestheater.
Joachim (IV, geb.1916), Sohn von Hermann (III), erlernte den Beruf des Klavierbauers ab 1932 bei Blüthner in Leipzig, wo er bis 1937 blieb. Danach arbeitete er einige Monate im Betrieb seines Vaters, den er übernehmen sollte. Er suchte und fand im Archiv der größten halleschen Zeitung die Gründungsanzeige von Leberecht Maercker (I). Dadurch ergab sich 1832 als Gründungsjahr, Bernhard (II) firmierte fälschlicherweise immer mit 1828. 1937 wurde Joachim Maercker (IV) zum Kriegsdienst eingezogen, 1942 fiel er in Russland.
Die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg
Der dritte Sohn Hermanns (III), Wolfgang (IV, geb. 1926), kam Ende 1945 aus der Kriegsgefangenschaft. Nach 14 Tagen Mitarbeit bei seinem Vater merkte er, dass Klavierhandel und –service kurz nach dem Krieg sinnlos waren. Er versuchte ohne Erfolg , bei Blüthner, deren Produktionsgebäude zerbombt war, eine Lehre zu beginnen. Auch bei anderen Firmen in Deutschland mit verschieden schlimmen Schäden hatte er keinen Erfolg. Er lernte dann bei dem blinden Klavierstimmer Willy Bau (Stimmlehrer an der Blindenanstalt) in privater Ausbildung das Stimmen und erhielt viele wertvolle Tipps z.B. zur Reparatur und zur Akustik.
Ab 1946 war Ingeborg Porstendörfer, geb. Maercker (IV, geb. 1917), Mitinhaberin von Maercker & Co. und arbeitete seit den Fünfzigern mit. Ende der Vierziger wurde bei Maercker & Co. erstmals jemand von außerhalb der Familie angestellt: Kurt Schwarze, der vorher bei Döll war. Außerdem kam um 1950 herum als nächster Erwin Langer aus Liegnitz dazu.
Im Februar 1948 erfuhr Wolfgang (IV) durch eine Instrumentenzeitung, dass Grotrian-Steinweg in Braunschweig Stimmer sucht. Nach einer Probestimmung wurde er angenommen. Aber eigentlich wollte er nicht stimmen, sondern das Handwerk erlernen. Er konnte dort z.B. Beziehen und Stimmstöcke reparieren, weil damals bei Grotrian kein Neubau stattfand. Durch die Währungsreform im Juli 1948 hatten die Leute kein Geld mehr für Klavierreparaturen, so dass Grotrian Angestellte entlassen musste, ihn etwa im Oktober 1948. Im Anschluss daran arbeitete er zwei Monate bei Zeitter & Winkelmann, einem kleinen Betrieb, der damals auch nur Reparaturen vornahm. Danach war er wieder bei Maercker & Co.
1950 ging er für ca. ein dreiviertel Jahr als Volontär zu August Förster nach Löbau. Förster hätte ihn auch schon 1947 genommen, aber bei ihnen in der Provinz sei die Lage so schlecht gewesen, dass ihnen der junge Kerl verhungert wäre. 1951 bestand er die Facharbeiterprüfung, die Theorie wurde bei Feurich in Leipzig geprüft. Dann wurde er zu Hause für Stimm- und Servicearbeiten gebraucht.
Im Jahre 1953 legte Wolfgang (IV) bei Arthur Werch in Leipzig die Meisterprüfung ab. Er arbeitete dort eineinhalb Jahre im Neubau von Klavieren. Die theoretische Prüfung wurde in Dresden abgenommen, u.a. von Otto Funke und Johannes Balzer. Anschließend arbeitete er zwei Jahre im Service bei seinem Vater Hermann (III).
1955 gründete er einen selbständigen Betrieb als Handwerker. Die Handwerkerbesteuerung war damals günstiger als die starke Besteuerung des Handels. Er übernahm Kurt Schwarze und Erwin Langer von seinem Vater.
Kalkulatorisch waren vorgeschriebene Niedriglöhne und –preise ein großes Problem. Material musste sehr lange vorher bestellt werden. Wolfgang (IV) war trotzdem gut mit Material und Werkzeug ausgestattet. Z.B. besaß er 1990 drei (100 Jahre alte) funktionsfähige Basssaitenspinnmaschinen: Er kaufte mehrere stillgelegte alte Betriebe auf, ließ sich von alten Hammerkopfmachern (1945 gab es vier große Betriebe in Leipzig!) die oberen zwei Oktaven als Ersatzsätze herstellen oder kaufte in den Fünfzigern in einem Posten 250 kg Saitendraht (in einem Klavier sind etwa eineinhalb kg), da der noch privatwirtschaftliche Klavierbedarf-Handel (drei große Betriebe) verstaatlicht werden sollte (später ein mäßiger staatlicher Handelsbetrieb).
Er wirkte nachhaltig in Halle. Z. B. stimmte er Cembalos für das Landestheater und Konzertflügel für die Philharmonie. Er betrieb den größten Klavierbetrieb in Halle (bis fünf Mitarbeiter), übernahm viele Generalreparaturen, da Neuware in der DDR immer rarer wurde. Andererseits durften Betriebe nicht zu groß werden, da um 1970 eine Verstaatlichung drohte. Und die Devisenknappheit der DDR bescherte extra Kundschaft: Der Kulturminister Islands hielt in der DDR Vorträge, bezahlt mit DDR-Mark. Und das Geld musste vor der Ausreise ausgegeben werden: So verkaufte Wolfgang (IV) einen gebrauchten Flügel nach Island, baute eine Holzkiste und verschickte ihn. Leider kam der Flügel nicht an, nach längerem Suchen fand man ihn in einem Speicher im Hamburger Hafen.
Die Materialbeschaffung in der DDR war nicht einfach, für die Gegenwart kaum vorstellbar:
„Da Hammerkopfmacher langsam ausstarben, wurde eine alte Hammerkopf-Presse besorgt, die – Gott sei Dank – nicht in Betrieb kam und am Ende im Händelmuseum (in Halle) landete.
Durch enge Zusammenarbeit mit der Klavierindustrie, fiel mancher Satz Hammerköpfe ab. Auch Klaviaturen mussten wir z. T. selbst belegen. Mit Mechanik- und Klaviatur-Filzen waren wir ganz gut versorgt, dank langer Vorbestellungen. Auch die vielen Kleinmaterialien wie Federn, Schrauben, Stifte, Beschläge usw. an Flügeln, Klavieren, Cembalos und Harmonien bekamen wir anfangs noch von den Großhändlern – teilweise wohl noch aus Vorkriegszeiten.“
1973 wurde er auf Grund einer Restaurierung für das Händelhaus Halle „Kunsthandwerker“.
Ingeborg (IV) betrieb das Verkaufsgeschäft mit Hermann (III) und nach dessen Tod allein bis 1981. In den Fünfzigern waren die Hauptabnehmer Russen: Hauptkriterium war Glanzlack, begutachtet von Offiziersfrauen! Sie lernte extra russisch, aber plötzlich blieben die Russen als Kunden weg. Später schleppten sich die Geschäfte dahin, weil kaum Neuware vorhanden war. Im Grunde konnte sie davon nicht leben. Sie gab, als ausgebildete Klavierlehrerin, außerdem Klavierunterricht. 1981 meldete sie Maercker & Co. ab und siedelte in die BRD über.
Seit der Wende, genauer seit der D-Mark, war der Handel fast zum Erliegen gekommen. Bis 1992 betrieb Wolfgang (IV) den Laden nebst seiner Werkstatt am Joliot-Curie-Platz 1. Dann verlegte er wegen absehbarer drastischer Mieterhöhung und nicht erkennbarer Fortführung des Geschäftes durch seine Tochter Sabine (V, geboren 1955) den Laden in die Doppelgarage im Fuchsweg 12 und die Werkstatt in sein Wohngrundstück Otto-Kanning-Str. 15. Ende 2005 meldete er sein Gewerbe ab und ist seitdem bei Sabine (V) über Honorar eingebunden.
Sabine (V) hatte nach dem Abitur überhaupt kein Interesse, in die Handwerker-Mangelwirtschaft einzusteigen und in der DDR als „Ausbeuter“ zu gelten. Sie studierte Lebensmitteltechnologie, arbeitete aber nur drei Jahre in einer Margarinefabrik in Pratau. Danach wollte sie, wie ihr Vater, während der Arbeit mit interessanten, freundlichen Menschen zu tun haben und Klavierbauerin werden. Jedoch nicht selbständig: Sie war daher von 1981 bis Ende 1996 Angestellte am Landestheater/Opernhaus Halle, kündigte dort aber 1996, um ihren eigenen Betrieb aufzubauen. Trotzdem übt sie im Opernhaus einen Teil ihrer früheren Tätigkeit weiter aus, u. a. Cembalostimmungen.
Sabine (V) erwarb 1981/82 in Eisenberg die praktische/theoretische Ausbildung, parallel bei ihrem Vater die Stimmausbildung. 1986 legte sie die Meisterprüfung ab.
Olaf Sieber (geb. 1967), Ehemann von Sabine Maercker (V), arbeitete und lernte bei Wolfgang (IV) von 1994 bis 1996. Danach bereitete er die Betriebsgründung mit vor. Ab 1997 besuchte er in Ludwigsburg die zentrale deutsche Klavierbauschule und legte dort im Jahr 2000 die Prüfung zum Klavierbauer inkl. eines gesonderten betriebswirtschaftlichen Tests ab, welcher den wirtschaftlichen Teil der Meisterprüfung darstellt.
Sabines (V) Schwiegervater Werner Sieber führte von 1997 bis 2000 komplette Außenarbeiten, also Holzarbeiten und Abschleifen/Lackieren, und helfende Klavierbauertätigkeiten durch.
Sabine (V) betrieb von 1996 bis 2001 ein Ladengeschäft im Innenhof in der Geiststr. 26. Danach zog sie in den Fuchsweg 12, wo sie die Werkstatt schon nutzte. Dort zugleich hat sie im Neubau-Wohnhaus auch einen 30-qm-Laden. Das Werkstattgebäude baute Wolfgang (IV) 1981 offiziell als massive Doppelgarage, da er für eine neue Betriebsstätte kein Baumaterial-Kontingent bekommen hätte, die Garage aber aus dem Material für den Bevölkerungsbedarf gebaut werden konnte. Das Zusammenführen des Betriebs in eigenen Räumen war ein Ziel zur Absicherung gegen wirtschaftlich schlechte Zeiten mit weiterlaufenden hohen Kosten für Mieträume. Im Grunde ist man damit wieder beim Gründer, wo auch alles zusammen lag. Damit sind kundenorientierte Öffnungszeiten gut mit dem Privatleben vereinbar.
Quelle:
Nach persönlichen Aufzeichnungen der heutigen Mitglieder der Firma und Nachweisen aus der „Zeitschrift für Instrumentenbau“.
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