Gerbstädt, Oskar
Pianofabrik in Zeitz, 1888 – 1990
Ein Bericht über eine Klavierfabrik aus einer Stadt im Burgenlandkreis: Zeitz.
Zeitz liegt im südlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt – im Dreiländereck Sachsen – Thüringen – Sachsen-Anhalt – und ist eine Stadt mit einer über 1000-jährigen Geschichte. unter den Klavierfabriken, die in Zeitz existierten, stelle ich die vorhandenen ZfI-Nachweise zusammen über:
Oscar Gerbstädt
Auf der „Gewerbe- und Industrie-Ausstellung zu Zeitz“ 1891 stellte Oscar Gerbstädt, gegründet 1888, 2 Pianinos aus.
Auf der „Musik- und Theater-Ausstellung zu Wien“ 1892 war O. Gerbstädt vertreten mit „1 hochfein geschnitztes Nußbaum-Pianino in Renaissance“. Hochfein, ja aber. „Großes Pianino, 7 Oktaven, kreuzsaitig in Gußrahmen, die Stimmnagelfelder mit Messing belegt, Mechanik mit Oberdämpfer, Gehäuse sehr reich ausgestattet in Renaissance, nußmatt mit Bildhauerarbeit, aufgelegten und sauber gekröpften Leisten und Reliefverzierungen“. Jetzt aber: „Wie es scheint, ist das Instrument erst in allerletzter Stunde fertig gestellt worden; es hätte nichts geschadet, wenn Ausarbeiter und Intoneure sich vorher noch etwas mehr mit ihm beschäftigt hätten, dann hätte das Innere mehr dem so brillant ausgeführten Aeußeren entsprochen“.
Ausstellung in Wien, 1892, welche Mühe hatten die Aussteller, in dieser Zeit ihre Instrumente an den Ausstellungsort zu befördern. Das Eisenbahnwesen war ja noch sehr jung.
Ein Jahr später, 1893, war der Weg zu der „Gesammt-Ausstellung der Erzeugnisse Thüringer Gewerbefleißes in Erfurt“ von Sachsen-Anhalt nach Thüringen nicht so weit. Mit zwei Pianinos, „die in Ausstattung und Ton die Firma würdig vertreten“, war Gerbstädt dabei.
Hat Gerbstädt etwa seine zwei Klaviere gleich in Erfurt stehen gelassen? Zur „Thüringer Gewerbe- und Industrie-Ausstellung zu Erfurt“ 1894 waren wieder ein schwarzes und ein Nußbaum-Klavier ausgestellt. Oder doch nicht – wie nun? Herr Oscar Gerbstädt meldete sich zu Wort: „… ich habe in Erfurt überhaupt kein Instrument ausgestellt. […] Das kennzeichnet auch zur Genüge die Preis-Prophezeiungen, die in demselben Bericht schon ganz unverhohlen ausgesprochen werden. Wohin sollen wir kommen, wenn eine solche Berichterstattung über Ausstellungen weiter um sich greift“.
Auf der nächsten Ausstellung 1897 in Leipzig hatte „die ebenfalls junge Firma Oskar Gerbstädt“ ausgestellt. Ein „mittelhohes Pianino in hellem italienischen Nußbaum, polirt und matt geschliffen mit drei Füllungen im Oberrahmen, […] und ein hohes in dunklem amerikanischen Nußbaum, […] das letztere ist reicher ausgestattet; der Oberrahmen hat drei Füllungen. […] Die Pianinos haben Oberdämpfer; sind gut intonirt, auch in den Übergängen, und der Ton ist der Größe der Instrumente angemessen. Die Spielart ist angenehm, wenn auch nicht ganz leicht; die Arbeit macht überall einen sauberen Eindruck“.
Diesmal fiel die Prämierung freundlicher aus, die „Silbermedaille der Ausstellung“ für „solid gearbeitete Pianinos“ wurde überreicht.
Der 1898 erschienene Katalog zeigte „acht Pianino-Modelle von einfacher bis reichster Ausstattung, der Ansichten der Innen-Construction und vier Modelle von Gallerien wiedergiebt, mit denen die Instrumente auf Wunsch geliefert werden“.
Endlich, 1899, eine „Klavier-Ausstellung in Zeitz“ auf der zu bewundern war: Ein „Renaissance-Pianino III, Nußbaum matt und blank“ und ein „Salon-Pianino VI mit Panzer-Stimmstock in hellem ital. Nußbaum mit Goldgravirung“.
1901 erfolgte der Umzug in „geeignetere Lokalitäten […] und gedenkt dort die Herstellung von Pianos durch Einführung des maschinellen Betriebes in vergrößertem Maßstabe zu betreiben“.
Oscar Gerbstädt wurde im gleichen Jahr erst in das Handelsregister in Zeitz als Inhaber eingetragen. Aber schon ein Jahr später verkaufte er „seine Pianofortefabrik Herrn William Siegel in Stade“.
Er wird „das Geschäft unter der alten Firma in unveränderter Weise weiterführen“. Wie lange?
Die Eintragung im Handelsregister von 1903 lautete: „Die Firma ist in William Siegel geändert“.
Und Herr Gerbstädt? Er hatte die Firma Rübner & Co. gekauft und „führt dieselbe unter der handelsgerichtlich eingetragenen Firma Oscar Gerbstädt als alleiniger Inhaber weiter“.
Wie Klaviere „an den Mann gebracht werden“, davon ist immer wieder in den ZfI’s zu lesen. Warum sollte die Stadt Zeitz ausgenommen sein?
„Klavier-Vertrieb durch Warenversandhäuser“. Inserat aus dem Jahre 1904:
„Ganz wunderbar sind die neuen Modelle unserer weltberühmter Zeitzer Pianos, Kinder-, Sport- und Leiterwagen, Kinderst., eiserne Bettstellen, Holzwaren, Fahrräder von 62 Mk. an. Näh-, Wring-, Wasch- und Mangelmaschinen. Staunend billige Preise. Sie sparen viel Geld, wenn Sie unseren Haupt-Katalog gratis verlangen. […] Erstes Sächs. Versand-Magazin Zeitz 52“.
Auf der Suche, wer hinter dem Versand-Magazin steht, folgte eine schriftliche Antwort:
„… Die Lieferanten derselben sind zwei hiesige renommierte Fabrikanten, deren Fabrikate auf verschiedenen Ausstellungen mit höheren Preisen ausgezeichnet wurden. Die Namen derselben zu nennen, müssen wir uns versagen, da dies auf einem Geschäftsgeheimnis beruht. Unsere Kaiser-Pianinos haben sich überall mit den besten Erfolgen eingeführt und das wird Ihnen wohl Gewißheit dafür bieten, daß Sie bei uns nur erstklassige Instrumente kaufen“.
Es wurden Erkundigungen angestellt. Ein Bürger Zeitz‘ war der „Inhaber der Thüringia Kinderwagen-Industrie“. Ob dieser Bürger „die Pianinos auch von Oscar Gerbstädt bezieht, wissen wir nicht. Jedenfalls steht fest, daß der gekennzeichnete Vertrieb für die Mehrheit der Zeitzer Pianofortefabrikanten und das Ansehen der dortigen Klavierindustrie ebenso wie für den gesamten Klavierhandel eine schwere Schädigung bedeutet“.
Natürlich musste Oscar Gerbstädt auf den Artikel antworten:
„… wird meine Firma mit mehreren Versandgeschäften in Verbindung gebracht und mir der Vorwurf gemacht, daß ich die Interessen nicht nur der Zeitzer, sondern der gesamten Klavierindustrie schädige“.
Gerbstädt vermutete, dass seine Firma in den Augen seiner Abnehmer herabgewürdigt werden sollte. Er stellt richtig, einem in Zeitz ansässigen Versandgeschäfte drei Pianos geliefert zu haben, zu reellen Preisen.
„Persönliche Voreingenommenheit, so hoffe ich, wird daher nicht imstande sein, mich und mein Fabrikat bei meinen zahlreichen Abnehmern zu diskreditieren“. Oscar Gerbstädt.
„Mitten wir im Leben sind von dem Tod umgeben“ – diese Tatsache hatte 1446 ein Liederdichter der Nachwelt bis heute überlassen und sie ereignet sich immer wieder. Während seiner Berufstätigkeit „im Kontor“ erlitt am 3. August 1912 der Pianofortefabrikant im 65. Lebensjahr einen „Herzschlag“.
Sein Lebenswerk erfuhr eine Würdigung. Neben den Medaillen auf den Ausstellungen wurden seine Verdienste in der Berufsgenossenschaft der Musikinstrumenten-Industrie und „ferner eines stellvertretenden Vertrauensmann für den Bezirk Zeitz“ gewürdigt. „Die von ihm gegründete Fabrik wird von langjährigen bewährten Mitarbeitern in den bisherigen Bahnen und in unveränderter Weise weitergeführt“. – Ja, welche? Hatte er nicht „seine“ Fabrik verkauft? Oder wusste der Nachruf-Verfasser nichts von der Vergangenheit?
Ein neuer Katalog zeigte noch im Jahr des Todes von Oskar Gerbstädt 17 Modelle von Klavieren in vier Sprachen: deutsch, französisch, englisch und spanisch. Weniger sind die Modelle vorgestellt, mehr vorgestellt war die Gestaltung des Kataloges.
Das 25-jährige Geschäftsjubiläum wurde im Oktober 1913 gefeiert. „Die Firma hat Dank ihrer soliden, preiswerten Fabrikate nicht nur im Inlande, sondern auch weit über dessen Grenzen hinaus und in zahlreichen überseeischen Plätzen Abnehmer gefunden und sich in der Pianofortebranche einen guten Namen erworben. […] Das Unternehmen wird seitdem von den Herren Friedrich Gerbstädt und Max Pfeiffer in den altbewährten Bahnen und in unveränderter Weise weitergeführt“.
Inzwischen ist Krieg. Im zweiten Kriegsjahr herrschte immer noch Begeisterung. Statt Klaviere konnten Interessenten eine „hübsche Erinnerung“ in Form eines Gruppenfotos erhalten. Das Foto sollte zeigen, „wie sehr sich jetzt der lahmgelegte Klavierfabrikations-Betrieb so vortrefflich in den Dienst unserer Landesverteidigung einzurichten verstanden hat, […] und für spätere Zeiten festhalten soll, wie das noch vorhandene Fabrikpersonal sich mit dem neuen Kriegsbetrieb abgefunden hat“. Schade, es ist kein Bild vorhanden. Mit welchen Klavierteilen oder Maschinen wollte man die Landesverteidigung unterstützen?
Der Krieg war vorüber, verloren. Das „Fabrikpersonal“ stellte wieder Klaviere her. 1921 war bereits das 10.000 Instrument fertig, ein „großes Konzertpiano in erstklassiger und hochkünstlerischer Ausführung. […] Entsprechend dem bereits erlangten guten Rufe legen die rührigen Inhaber größten Wert darauf, ihr Fabrikat in höchster Vollkommenheit herzustellen, gleichwohl aber auch die Preise in möglichst mäßigen Grenzen zu halten“. Die Nachfrage nach Gerbstädt-Instrumenten stieg, eine bauliche Vergrößerung des Betriebes wurde erwogen.
Zur Herbstmesse 1924 in Leipzig stellte die Firma neben einigen Pianos „auch wieder den kleinen Flügel von 1,50 m Länge, welcher in Fachkreisen eine so vorzügliche Beurteilung gefunden und sich inzwischen recht gut eingeführt hat“. Ein neuer Katalog aus dem Jahre 1926 zeigte 15 „Pianino-Modelle, ein Flügelmodell sowie die inneren Ansichten eines Flügels von 195 cm, eines solchen von 150 cm Länge und eines Pianinos von 130 cm Höhe wieder. Das innere Titelblatt brachte auf der Vorderseite eine Ansicht der Fabrik und auf der Rückseite eine malerische Zusammenstellung der der Firma gewordenen Preismedaillen und Diplome“. (- waren es denn so viele?)
Der Mitinhaber der Firma Max Pfeiffer starb 1927 „nach einem heimtückischen, schweren Leiden im Alter von 54 Jahren“. Der Name Pfeiffer war in der Klavierbranche kein Unbekannter. Es bestand offensichtlich keine verwandtschaftliche Verbindung zu den Pfeiffer’s aus Stuttgart, Berlin, Aachen, Heidelberg, Eberswalde, Königsberg und Mannheim.
Der Verstorbene war „jahrzehntelang in leitender Stellung bei der Firma Hugo Lenssen, Lackwerke in Zeitz, […] an deren enormen Aufschwung er einen großen Anteil gehabt hat, übernahm Herr Max Pfeiffer im Jahre 1912, nach dem Tode seines Schwiegervaters, Herrn Oscar Gerbstädt, die Firma zusammen mit seinem Schwager, Herrn Fritz Gerbstädt“. Er hatte sich sehr schnell eingearbeitet und als Kaufmann wollte er das Unternehmen ausbauen und vergrößern. „Nach Beendigung des Weltkrieges war wieder sein einziges Bestreben, in seltener Energie und eisernem Fleiß, den guten Ruf der Firma zu befestigen und hinauszutragen auch in die entlegensten Erdteile. […] Die unendlich vielen Beileidsbezeugungen aus nah und fern geben so recht ein beredtes Zeugnis dafür, wie hochgeachtet und beliebt er überall war. […] Die Firma selbst wird im Sinne des Verblichenen, getreu seinen Grundsätzen strengster Pflichterfüllung, von seinem Kompagnon, Herr Fritz Gerbstädt, sowie alten bewährten Mitarbeitern weitergeführt“.
1928 erfolgte die Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft. Sohn Fritz blieb „persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter“.
Im gleichen Jahr blickte die Firma auf ihr 40-jähriges Bestehen zurück. „Im Kranze der heimischen Industrie gebührt der Firma vermöge ihrer beachtenswerten Jahresproduktion und der in- und ausländischen Absatzgebiete ein hervorragender Platz“.
Im nächsten Katalog, von 1930, sind 12 Pianino- und 3 Flügelmodelle vorgestellt, mit Innenansichten eines Pianinos und zweier Flügel. Diesmal 5-sprachig, „so daß er bei der Händlerkundschaft der ganzen Welt Beachtung und Würdigung finden wird“.
Zur Leipziger Herbstmesse 1930 stellte Gerbstädt nicht aus, bot aber „Interessenten auf Wunsch ihren Kraftwagen gern zur Verfügung“ zu stellen. Fünf Jahre nach dem Tode von Max Pfeiffer starb die Mitinhaberin Frau Hedwig verw. Pfeiffer in Zeitz.
Die Pianofortefabrik wurde im Krieg verschont, die Produktion ging weiter. Die Seriennummern sind im „Atlas der Pianonummern“ ersichtlich.
Als der Ostwind in der 1949 gegründeten DDR stärker wurde, verließen viele Menschen das Land in Windrichtung. Die „Instrumentenbau Zeitschrift“ berichtete regelmäßig davon: „Die nachstehend genannten Fachleute haben in den letzten Wochen das Gebiet der Sowjetzone verlassen und sind nach West-Berlin bzw. Westdeutschland übergesiedelt: […] die Inhaber der bekannten Klavierhandlung Döll-Halle, […]die Herren Fritz Gerbstädt und Wucherpfennig von der Klavierfabrik Oscar Gerbstädt“. (Juli 1953)
Wie weiter ohne die Geschäftsleitung?
Gerbstädt-Klaviere wurden zunächst im VEB Klavierindustrie Zeitz gefertigt.
Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1958 stellte die „Leipziger Pianofortefabrik“, Böhlitz-Ehrenberg, nicht nur das Modell „Rönisch“ vor, sondern auch:
„Unter der Marke Gerbstädt wurde ein Kleinklavier Mod. Silvia, 106 cm hoch, in diversen Holzarten lieferbar, vorgestellt, das auch mit Folie belegt, sehr ansprechend wirkend, in wohlfeiler Preislage zu haben ist. Weiter war ein Piano Mod. Toska, 115 cm hoch, mit geschwungenen Konsolen, in verschiedenen Farben lieferbar, zur Stelle“.
Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1966 waren verschiedene Gerbstädt-Modelle ausgestellt: Tosca, Silvia und Aida; und auch das neue Hupfeld-Piano, 104 cm hoch, gehörte zum Programm.
Weiter, bis zum Ende der Deutschen Pianounion Leipzig, wurde „Gerbstädt“ produziert.