Ritter, C. Richard
Pianofortefabrik in Merseburg und Halle, 1828 – 1937
Ja so warn’s, ja so warn’s – Ja so warn’s, ja so warn’s die alten RITTERsleut
Die Geschichten der Meister des Klavierbaus sind interessante, vielschichtige und vielfarbige mit Höhen, meist endend in Tiefen. Tiefe steht nicht selten auch für Vergessenheit. Hier nun soll weniger an die Strophen eines altbekannten Liedes erinnert werden, sondern vielmehr an die „Rittersleut“ aus Halle an der Saale. Kennt wohl außerhalb Sachsen-Anhalts überhaupt noch jemand ein „C. R. Ritter“-Instrument? Dabei war C. R. Ritter eine über 100 Jahre bestehende Pianofabrik, ein Unternehmen, das Auf- und Abstiege durchlebte.
Die Rittersleut’:
Der Gründer Karl Friedrich Ritter wurde am 7. April 1797 in der Nähe von Merseburg geboren. Er starb am 19. Mai 1863. Sein einziger Sohn Carl Richard Ritter wurde am 12. Febr. 1836 in Merseburg geboren und starb am 28. Mai 1917 in Halle.
Die Söhne und einzige Tochter von Carl Richard Ritter:
Alfred Ritter, geb. 19. Mai 1871, gest. 25. Febr. 1931
Helene Ritter, geb. 4. Okt. 1874, verheiratet mit dem Kaufmann Otto Naumann, gest. 30. Okt. 1906
Willy Ritter, geb. 1. Juni 1877
Ernst Ritter, geb. 12. Sept. 1882
Karl Friedrich Ritter,
Sohn eines Lehrers, besuchte das Gymnasium in Merseburg. „Da erklang im Frühjahre 1813 die Kriegsfanfare durch Preußen und die deutschen Gaue, und begeistert griff Alt und Jung zu den Waffen, um das Vaterland von den Ketten des korsischen Eroberers zu befreien. Freudig ergriff der erst sechzehnjährige Jüngling die Gelegenheit, sich in den Dienst des Vaterlandes zu stellen, und als der Vater ihm die Erlaubniß zum Waffendienste versagte, da entwich er bei Nacht heimlich aus dem Vaterhause und trat bei den später so berühmt gewordenen Lützow’schen Reitern als Freiwilliger ein, um in ihren Reihen mit dem Dichterjüngling Theodor Körner gegen die Franzosen zu kämpfen.
Nach zweijährigen schweren Kriegsstrapazen kehrte Ritter wohlbehalten ins Vaterhaus zurück. Zum Studium war es nun freilich zu spät geworden, und so beschloß er denn, ein Handwerk zu ergreifen. Beim Glasermeister Lindenlaub in Merseburg erlernte er während drei Jahren das Glaserhandwerk und ging dann in die Fremde. Nachdem er in Baden-Baden als Glasergeselle Beschäftigung gefunden hatte, suchte er sich mit einem Klaviermacher bekannt zu machen, um durch dessen Vermittlung bei dem dortigen Hofklaviermacher Wittum in seinen freien Stunden Klavier spielen zu dürfen. Das gelang ihm auch, und Meister Wittum war überrascht von dem vollendeten, ausdrucksvollen Spiele des jungen Gesellen. Mit jedem Abend gewann er mehr Interesse an demselben, so daß er ihn eines Tages fragte, ob er nicht Klaviermacher werden wolle. Freudig willigte Friedrich Ritter ein, und fünf Jahre widmete er sich hier mit Energie und Ausdauer dem schönen Kunsthandwerke. Im Jahre 1823 ging er nach Wien, wo damals die Klaviermacherei in hoher Blüthe stand. In Wien erweiterte Ritter seine Kenntnisse und kehrte dann im Jahre 1828 nach Merseburg zurück, um sich selbstständig zu machen. Zu diesem Zwecke miethete er sich eine kleine Werkstätte, fertigte sich zunächst allerlei Werkzeuge an und begann dann Flügel und tafelförmige Klaviere zu bauen. Die Instrumente, die von einem tüchtigen Können zeugten, fanden viel Anklang, die Nachfrage regte sich, es mussten Gehilfen eingestellt werden, und schließlich stand er vor der Notwendigkeit, ein eigenes Haus in der Ritterstraße zu kaufen, um sich weiter ausdehnen zu können“.
Sein einziger Sohn, Carl Richard Ritter, sollte ihm eine tüchtige Hilfe sein. Dieser beendete die Schulzeit und begann beim Vater eine fünfjährige Lehre. „Während derselben entwickelte er ein hervorragendes Talent, sowie eine peinliche Gewissenhaftigkeit, so daß ihn der Vater im Jahre 1857 nur ungern in die Fremde ziehen ließ“. Zunächst ging er zu Kanhäuser nach Stuttgart, anschließend arbeitete er bei Dieudonné, von dort ging er nach Zürich zu Hüni & Hubert. „Hier hatte man seine Tüchtigkeit bald erkannt und schickte ihn als erste Kraft nach Christiania zu J. W. Cappelen als Stimmer und Reparateur“.
1863, im Todesjahr des Vaters, kam er zurück nach Merseburg und führte das Geschäft weiter. Durch die gesammelten guten Eindrücke und Erfahrungen baute er eine Fabrik und konnte weitere Arbeiter einstellen. Er firmierte unter „C. Rich. Ritter“.
1870 heiratete er Agnes Knoblauch, sie war ihm „eine äußerst geschäftsgewandte Hilfe“. 1902 zogen die Eheleute Ritter nach Dresden-Blasewitz, kehrten aber 1905 wieder nach Halle zurück, wo ein Jahr später Agnes Ritter starb.
Die Nachfrage nach Ritter’schen Pianos wuchs. „In Weißenfels und Halle wurden Filialen eingerichtet, welche gute Geschäfte machten, und als das Publikum 1880 auf der Gewerbe-Ausstellung in Halle das Fabrikat, welches mit der Staats-Medaille ausgezeichnet wurde, näher kennen lernte, da hob sich der Umsatz derart, daß man sich 1882 in Halle (Leipziger Straße 73) ankaufen mußte, weil in Merseburg nicht genügend Hilfskräfte zu bekommen waren“.
1889 erfolgte der Umzug in Halle in die Königstraße 6. Es entstand eine „stattliche Fabrik“ mit allen technischen Vorzügen und mit „den neuesten maschinellen Einrichtungen ausgestattet […]. Die Säle und Zimmer [gewährten] angenehmen, gesunden Aufenthalt. Eine Dampfheizung bewirkt eine zweckmäßige Erwärmung. Ein gefahrlos zu handhabender, mit Fangvorrichtung versehener Fahrstuhl vermittelt die Bewegung des Materials und der Instrumente“.
1898 wurde dem Pianoforte-Fabrikanten das Prädikat „Großherzoglich Sächsischer Hoflieferant“ verliehen.
Auf der Weltausstellung 1900 in Paris war C. Rich. Ritter mit einem „Pianino in modernem Style“ dabei. Das Pianino „ist 1,35 m hoch ohne Deckelverzierung, mit derselben 1,58 m und 1,57 m breit, umfasst 71/4 Oktaven. Das Gehäuse ist im neuzeitlichen Styl gehalten, in dunkel Mahagoni mit graugrünen Füllungen in Vogelaugenahorn. Der Oberrahmen ist durchbrochen geschnitzt und mit grüner Seide hinterlegt […] Die blank gehaltenen goldfarbenen Beschläge, welche gleichzeitig die äußerst stylgerechten und herrlichen Leuchter tragen“, wurden in Dresden hergestellt. Die Köpfe auf dem Deckel sind „in Gyps modellirt […] Das Instrument hat einen vollen, den ganzen Stimmstock deckenden, äußerst stabilen Eisenrahmen mit abnehmbarer Dämpfung. Als besondere Vorzüge des Pianos sind die außerordentlich leichte und elastische Spielart, sowie der gesangreiche, liebliche und dabei volle Ton anzuführen“.
Am 1. Oktober 1902 zog sich Carl Richard Ritter zurück, die Leitung wurde den beiden Söhnen Alfred und Willy und seinem Schwiegersohn Otto Naumann übertragen. Die beiden Söhne hatten „eine langjährige gründliche Unterweisung in der Praxis durch den Vater [erfahren] und sich auch in Stuttgart, Heilbronn, Wien, Dresden, Koblenz etc. in ersten Fabriken als tüchtige Kräfte bewährt“, während Otto Naumann „als Kaufmann lange Jahre Reisender eines hochangesehenen Hauses war, seit neun Jahren aber seine Arbeit ganz in den Dienst der Firma gestellt [hatte]“.
Im Gegensatz zu den sarkastischen Strophen im Liede der Rittersleut´ wurden treue Ritter-Mitarbeiter für 25-jährigen Dienst in der Firma besonders geehrt: „[…] überreichte Herr Ritter unter warm empfundenen Worten jedem [der zwei Mitarbeiter] eine kostbare goldene Uhr“.
Im Jahre 1904 wurde den Rittersleuten ein weiterer Hoflieferanten-Titel durch den König von Rumänien Karl Eitel Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen verliehen. Die Ehrung beflügelte die Hof-Pianofortefabrik und sie brachte einen umfangreichen Katalog in „deutsch-französisch-englischer Sprache“ mit 92 Seiten heraus. „18 Pianino-Modelle und 4 Innenansichten, sowie 1 Salonflügel-Modell“ wurden vorgestellt. „Der zweite Teil des Kataloges enthält eine gediegene Auswahl von Mannborg-Harmoniums, für welche die Firma Ritter die Vertretung hat“.
Nachdem die Fabrikate von der Hofpianofortefabrik „auf dem Weltmarkt einen achtunggebietenden Platz errungen“ hatte, wurde eine Erweiterung des Betriebes mit dem Bau eines zweiten Fabrikgebäudes nötig. „Das Parterre dient als Maschinensaal, in dem die mannigfaltigsten Holzbearbeitungsmaschinen ihre zerkleinernde und formgebende Tätigkeit verrichteten. Die großen, lichten Arbeitssäle der übrigen 3 Etagen bergen die verschiedensten Zweige der Klaviertischlerei, Materialien- und Furnierlager, ja sogar ein mit allem Komfort ausgestattetes photographisches Atelier.“
Im Jahr 1908 erfolgte wieder eine Betriebserweiterung: „Die erst im Jahre 1905 neuerbaute Fabrik erwies sich bereits wieder als zu klein, weshalb die Firma in dem Grundstücke Schaffenstr. 8 große, lichte Fabrikräume mietete, in welche sie die gesamte Furnierei untergebracht hat, so daß sie nunmehr auch die größten Lieferungen schnellstens auszuführen imstande ist“.
In der Folge wurden weitere Filialen in Bitterfeld und Torgau, 1912 auch in Aschersleben, eröffnet.
In der Hoch-Zeit des Klavierbaus – vor dem Ersten Weltkrieg – wurde das 10.000 Instrument hergestellt. „Gewiß ein hübsches Resultat, wenn man in Betracht zieht, unter welch schwierigen Anfängen der Senior des Hauses das Werk mit 2 – 3 Instrumenten pro Jahr begonnen hat. Damals galt eben ein Klavier noch viel mehr als Luxusgegenstand, den sich nur sehr wohlhabende Leute zu leisten vermochten, während es heute fast in jeder Bürgerfamilie zu finden ist“. 1912 betrug die jährliche Fabrikationsziffer 1200 Flügel und Pianinos.
In einem Katalog, hier außer deutsch, französisch, englisch auch spanisch und portugiesisch, findet sich neben Flügel- und Pianino-Modellen das Kunstspiel-Piano „Ritter-Player“.
1914 verlieh der Großherzog von Sachsen-Weimar „den Inhabern der Pianofortefabrik“ einen weiteren Hoflieferanten-Titel.
Die Gründung der „Rich. Ritter & Co.“ mit den Gesellschaftern Alfred und Willy Ritter, Otto Naumann und E. Rich. Ritter erfolgte 1919.
Durch Unzufriedenheit im Volk, durch die materielle Not und die langen Arbeitszeiten kam es im ganzen Lande zu Streiks. So 1919 auch in der Firma Ritter. Von September bis Dezember stand die Produktion still. Dennoch wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1920 der „beliebte, kleine Stutzflügel“ (1,55 m lang) ausgestellt.
Zur Leipziger Mustermesse im Herbst 1921 wurde neben Pianomodellen und „dem 88 tönigen Ritter-‚Primola’, auch eine Auswahl von Flügeln ausgestellt. Ganz besonderes Interesse dürfte die Erfindung Ritters, ein Stutzflügel von 1,55 m Länge mit Doppelbaß […] [gefunden haben]. Diese […] durchdachte Erfindung stellt einen kleinen Flügel dar, der für die untersten 30 Töne einen zweiten Resonanzboden, einen zweiten Eisenrahmen mit komplettem Bezug und eine doppelte Mechanik besitzt. Während die durchgehende Mechanik die Hämmer nach oben bewegt, schlagen dieselben bei der zweiten Mechanik nach unten. Letztere kann auch ausgeschaltet werden. […] Der Zweck der Erfindung, einen kleinen Flügel zu konstruieren, dem nicht der Mangel der starren abfallenden Bässe anhaftet, sondern die Ausgeglichenheit und Klangfülle größerer Flügel besitzt, dürfte damit glücklich erreicht sein“.
1923 wurde das „Mini-Piano“ vorgestellt. „Es handelt sich um ein 7 oktaviges, kreuzsaitiges Klavier mit Panzer-Stimmstock, welches unter dem Namen ‚Yacht-Piano’ in den Handel gebracht wird“. Die Höhe betrug 1,20 m.
Noch im Jahre 1926 erschien ein neuer Katalog. Neben den 16 Pianino- und 7 Flügel-Modellen „finden wir in photographischer Reproduktion mehrere Aufnahmen, die uns ein Bild von dem Betriebe geben: Verschiffung von Ritterpianos im Hafen zu Halle a./S., Ausstellungsräume, Musiksaal und Verkaufssaal in der Leipziger Straße, Hauptfabrik in der Königsstraße 6, Filialfabrik und Holzlager Dessauer Straße 53, Füllen der pneumatischen Dampftrockenräume, sowie 3 Innenansichten der Fabrik“.
Nach dem Aufstieg folgte der Abstieg, wie sehr oft in den zu Ende gehenden 20er und beginnenden 30er Jahren. Die Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Klavierhändler musste sich mit den Rittersleut’ beschäftigen. So war Ende 1929 zu lesen:
„Wegen Erbregulierung werden neuerdings von der Pianofabrik Ritter, Halle a. d. S., Instrumente in der folgenden und ähnlichen Form angeboten“:
Ein Klavier für RM. 950,– bis hin zum Flügel für RM. 2200,–
„Kleine Raten nach Vereinbarung, Katalog frei. Ritter, Pianofabrik, Leipziger Str. 73. […]
Die getroffenen Feststellungen haben ergeben, das die Firma […]“ ihre Instrumente ca. 25 – 30 % billiger verkaufte. In der Zeitung war von dem Angebot zu lesen:
„Durch den besonderen Anlaß einer Erbschafts-Regulierung sind wir in der Lage, Ihnen das besondere Preisangebot machen zu können. […]
Die Firma Ritter […] verkauft also ihre Pianos jetzt fast zu einem Preis, den Sie bisher dem Handel im In- und Ausland in Rechnung gestellt hat. Der Absatz der Firma Ritter an den deutschen Handel ist zwar in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Auf die Ursachen und die Gründe wollen wir im Augenblick nicht näher eingehen. Bedauerlich ist nur, daß eine doch ohne Zweifel angesehene Firma die an sich schwierigen Verhältnisse der Branche dadurch noch mehr erhöht und Verkäufe in einer Form tätigt, die gewiß von keinem der Branchenangehörigen verstanden und gebilligt werden kann.
Aus Mitteldeutschland wird uns berichtet, dass in einem Lokal in Völpke (Nähe Helmstedt, aber noch in Sachsen-Anhalt) ein Reklameplakat der Pianofortefabrik Ritter, Halle, hängt mit dem Hinweis, dass die Marktdrogerie Kurt Ritter in Schöningen i. Br. (ca. 14 km entfernt) Klaviere der Firma Ritter […] vertritt. – Auch diese Feststellung ist für den gesamten deutschen Klavierhandel recht betrübend“.
Am 25. Febr. 1930 starb Alfred Ritter im 60. Lebensjahr, die Firma wurde von „Herrn Willy Ritter geleitet“ mit Herrn Otto Naumann, der um diese Zeit auch bereits „leidend“ war. Ein Jahr später schied er als Geschäftsführer aus.
Nachweise über das Ende der Firma fanden sich in den vorhandenen Zeitschriften nicht.
Ende 1938 wurden noch „Ritter-Flügelmodelle 1.55, 1.85, 2.10 und 2.70 m preiswert zu verkaufen“ angeboten.
Zu den Prämierungen ein Auszug aus dem Klavierlexikon Deutscher Klavierbauer, H. Henkel:
„Halle 1881, 3 Pianinos, Bronzene Staatsmedaille; Antwerpen 1894, Goldmedaille; Darmstadt 1894, Kgl. Preuß. Staatsmedaille; Erfurt 1894, Silbermedaille; Schönebeck 1895, Silbermedaille; Brüssel 1897, 3 Pianinos, Goldmedaille; Paris 1900, 1 Pianino mit Mechanik von Flemming, Leipzig, Klaviatur und Bildhauerarbeit nach eigener Anfertigung, Silbermedaille; Brüssel 1910, Ehrendiplom; Turin 1911, Goldmedaille“.
Ja, so warn’s, die RITTERsleut’ aus Halle an der Saale.