Gebauhr, Carl Julius
Pianofabrik in Königsberg, 1834 – 1913
Nachgewiesen ist Königsberg als eine Siedlung schon um etwa 1500 vor Christi Geburt, beiderseits des Pregels gelegen. 1242 gründeten Lübische Kaufleute dann einen Festpunkt, und kurze Zeit später errichtete der Deutsche Orden eine Burg (Conigsberg). Die große Stunde schlug der Stadt, als Friedrich III. , Kurfürst von Brandenburg, sich 1701 zum König von Preußen krönte. Die Stunde der Erniedrigung schlug, als Königsberg 1758 den Russen in die Hände fiel.
Später, viel später:
1910 war Königsberg an die 17. Stelle der deutschen Großstädte aufgerückt. Werften, Waggon-, Maschinen-, Textilfabriken, Ziegeleien, Holz- und Agrarproduktverarbeitung, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, nicht zu vergessen die Bernsteinmanufaktur, führten die Stadt zum Wohlstand. Königsberg war die Hauptstadt Ostpreußens und bis 1918 auch Krönungs- und dritte Residenzstadt der preußischen Monarchie.
Vom Zweiten Weltkrieg blieb die blühende Stadt bis August 1944 unberührt. In zwei Bombennächten wurde sie Ende August 1944 nahezu vernichtet. Die Zerstörung beraubte die Stadt wertvoller Baudenkmäler, des Schlosses, des Domes und vieler Museumsbestände, die nicht ausgelagert worden waren.
1946 wurde aus Königsberg offiziell Kaliningrad (Калининград), weiterhin Hauptstadt der „Oblast (Gebiet) Kaliningrad“, einer russischen Exklave zwischen Polen und Litauen mit Zugang zur Ostsee. Die heutige Stadt Kaliningrad hat 434.954 vorwiegend russische Einwohner (Stand 1. Januar 2005).
Die Klavierfabrik von Carl Julius Gebauhr in Königsberg war bekannt und berühmt, denn bis Anfang der 1850er Jahre gehörte Ibach neben dem Kölner Klavierbauer Eck und Gebauhr in Königsberg zu den größten Klavierherstellern Preußens.
Bereits 1851 ist in einem Bericht von der Londoner Großen Industrie-Ausstellung zu lesen:
Gebauhr stellte 1 „Pianoforte`s“ aus. „Wie schon bei früherer Gelegenheit bemerkt wurde, sind [die] meisten Claviere des Zollvereines Nachahmungen von Erard (Nach Fètis wurde Brodwood nachgeahmt von Bessaliè […] Erard von Gebauhr, Klems, Breitkopf …) u. A., selbständige Richtungen verfolgen nur Wenige, doch ist im Ganzen gegen die frühere Zeit, in welcher ich die Zollvereinsclaviere bei einer Ausstellung in Dresden und bei mehreren Reisen kennen lernte, ein sichtlicher Fortschritt bemerkbar […] Leider waren die deutschen Instrumente von einander getrennt, man konnte daher nicht eigentlich bestimmen, welches darunter das Beste sei. Mir erschienen die Pianoforte´s von Breitkopf und Härtel, Schiedmayer, Gebauhr und Westermann als vorzüglich […].“ (J. Fischhof, Geschichte des Clavierbaues)Auszug aus dem Bericht über die Pariser Weltausstellung im Jahre 1867:
„In Deutschland waren in der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts namentlich die österreichischen Firmen berühmt, da die übrigen deutschen: Härtel, Schambach, Irmler in Sachsen, Stöcker, Kisting, Perau, Bessalié, Gebauhr, Eck, Braun, Schiedmayer, Dörner, Lipp, Ritmüller u.s.w. wohl kaum eine wirklich neue, eigene Erfindung aufzuweisen hatten.“ (Paul, Geschichte des Klaviers)
Ausstellungsbericht, Wien 1874:
„Einen Fortschritt hat auch Gebauher aus Königsberg mit einer neuen Stimmvorrichtung an einem feinen Concertflügel zum Wenigsten angestrebt. Die Saiten nämlich sind nicht um die Wirbel geschlungen, sondern mit einer Schlinge an einem Haken eingehängt, dessen Eisenfortsatz mit einer Schraube in den aus einem schweren, eisernen Steg bestehenden Stimmstock eingesetzt ist. Der Mechanismus bewirkt, daß eine große Umdrehung des Schlüssels nur ein sehr feines Anziehen der Saiten zur Folge hat. Der Stimmschlüssel ist gerade so geformt, wie bei einer Pendeluhr. Das Stimmen des Instrumentes wird allerdings durch diese Einrichtung erleichtert, ob sie indeß die Haltbarkeit der Stimmung befördert, ist eine andere Frage, jedenfalls aber ist das Aufziehen der Saiten unendlich erschwert. Außer jenem mit englischer Mechanik und Eisenrahmen versehenen großen Flügel hat Gebauher einen geradsaitigen Salonflügel mit Eisenrahmen, geradsaitig und ein Pianino von hohem Format gebracht. Alle Instrumente haben einen Corpus aus Palissander. An der Solidität des Baues läßt sich nichts aussetzen. Alles dagegen an dem Ton, der trocken und steif ist. Das Pianino zeichnet sich durch seine ganz besonders schlechte Spielart aus. … Die unverhältnismäßige Wertverschiedenheit zwischen den beiden Flügeln verdanken sie einzig und allein jener – wie zu befürchten steht – sehr unpraktischen Neuerung in der Stimmvorrichtung“.
Die Nachweise in der „Zeitschrift für Instrumentenbau“ beginnen mit einem Nachruf:
Am 9. Mai 1881 starb „der Nestor des Instrumentenbaues in den östlichen Provinzen: der Commerzienrath C. J. Gebauhr.“ Man würdigte seinen Werdegang: „Carl Julius Gebauhr wurde am 9. Februar 1809 in dem Kirchdorfe Hafstrom in nächster Nähe von Königsberg geboren, wo sein Vater Pfarrer war. Er besuchte das hiesige Altstädtische Gymnasium, um dann einen seinem praktischen Sinn entsprechenden Lebensberuf zu wählen. Den Versuch, die Handlung (?) zu erlernen, gab er auf, da dieser Beruf seinen Neigungen nicht entsprach. Als Vorbereitung zu dem von ihm nun gewählten Instrumentenbau erlernte er einige Zeit die Tischlerei und trat dann in die Fabrik des im Jahre 1855 verstorbenen Königl. Hofinstrumentenmachers J. F. Marty hierselbst. Nach gründlicher Erlernung des Instrumentenbaues lebte Gebauhr von 1832 bis 1834 als Klavierstimmer und war als solcher ungemein gesucht. Er erinnerte sich noch in jüngster Zeit oft und gern jener Periode seines Lebens, die mit der Erweiterung seine Umgangskreises nicht wenig zur Erwerbung tiefer Weltkenntnis und reicher Erfahrungen beigetragen hat. Im Jahre 1834 errichtete er eine eigene Werkstätte mit zwei Gesellen. Erwähnenswert dürfte sein, dass der erste dieser beiden Gesellen auch bis heute (1881) noch ununterbrochen in der Fabrik thätig ist und jetzt als Holzpfleger beschäftigt wird. Erst allmählich und auf solidester Grundlage erweiterte sich das anfangs so bescheidene Geschäft und 1841 arbeitete Gebauhr mit 10 Gesellen, nachdem er sich 1839 verheirathet hatte. 1841 kaufte er das grosse Grundstück […] und darf die Bemerkung wohl hier einen Platz finden, dass der Erwerb dieses Grundstückes der einzige Moment im Leben Gebauhr`s war, bei dem ihm wirklich das Glück zur Seite gestanden hat. Alle übrigen Erfolge sind nicht durch die Gunst des Zufalles, sondern durch eigene Tüchtigkeit und eiserne Energie errungen.“ Eine Dampfmaschine mit 15 PS stellte er auf, „mit welcher eine Fournierschneidemühle mit 4 Gattern, 3 Frästische, Band- und Kreissägen und hauptsächlich die Apparate zur Herstellung der einzelnen Mechaniktheile getrieben wurden. Der immer umfangreicher werdende Umsatz der Instrumente erforderte endlich 1857 eine Vergrößerung des Hauptgebäudes, welchen dann alsbald der Neubau des Fabrikgebäudes folgte.“ Ein neues großes, dreistöckiges Fabrikgebäude für „ca. 100 Hobelbänke“ wurden erbaut. Die freiwerdenden Räume wandelte er um in Magazine, immerhin mit 10 Sälen. „In dem neuen Fabrikgebäude treibt ein Gaskraftmaschine 2 Eisen- und 2 Holzdrehbänke, 1 Eisen- und eine Holzbohrmaschine, eine Schraubenschneidemaschine, eine Bespinnmaschine, eine Bandsäge und einen Aufzug.
In demselben Gebäude befindet sich auch eine Lackirwerkstätte. Ein eignes Gebäude für die Schlosserei, in der sechs Gesellen beschäftigt sind, war schon früher errichtet.“ Hölzer wurden verwendet, „die mindestens 3 Jahre lang der Luft ausgesetzt gewesen und daher vollständig ausgetrocknet sind. […] Resonanzholz wird in gleicher Weise behandelt, blieb aber volle fünf Jahre an der Luft.“ 1881 arbeiteten ungefähr 120 Arbeiter unter „vier Werkführern […] und durch diese Anzahl und die Ausnutzung der zahlreichen Maschinen ist die Leistungsfähigkeit der Fabrik so gesteigert, dass sie bis 2 Instrumente täglich fertig zu schaffen im Stande ist. Dieser bedeutende Umsatz erfolgt nicht nur nach Deutschland, sondern auch nach ausserdeutschen Ländern, nach Amerika, Australien und Indien. Die vorzüglichen Instrumente der Gebauhr’schen Fabrik sind wiederholt bei Weltausstellungen prämiert, so 1852 bei der Ausstellung in London, 1872 in Moskau, 1873 in Wien, 1880 bei der Provinzial-Ausstelung in Bromberg und jüngst in Melbourne 1881.“
Seine Verdienste sind vom Staate „durch die Verleihung des Titels `Commerzienrath` und des Königl. Kronenordens anerkannt.“ Der Sohn des Gründers, Julius Gebauhr, übernahm die Firma.
Einige Jahre später, 1901, war in den Personal- und Geschäftsnotizen folgendes zu lesen: „Aus der in Königsberg i. Pr. unter der Firma C. J. Gebauhr & Co. bestehenden Kommanditgesellschaft ist der persönlich haftende Gesellschafter Carl Julius Hugo Gebauhr ausgeschieden […].“ Die Bezeichnung „C. J. Gebauhr & Co“ ist nur hier einmal erwähnt.
Rente mit 67 Jahren? Keine Frage, ein Beispiel unserer Vorfahren: Der Instrumentenmacher Herr Carl Royall „beging am 9. Febr. (1904) das 50jährige Jubiläum seiner Arbeitstätigkeit. […] Der Jubilar erfreut sich trotz seines hohen Alters von über 80 Jahre noch der besten Rüstigkeit“, also war er 13 Jahre über das für uns alle bald kommende Renteneinstiegsalter hinaus tätig.
1907 hatte die Firma „C. J. Gebauhr“ ihr Grundstück auf der Königsstraße verkauft und gedachte, „ihre Fabrik in einen auf der Plantage zu errichtenden Neubau zu verlegen.“
Eine Bitte um Spenden – Eine Aufforderung, die vor 100 Jahren bestimmt nicht solche Ausmaße erwarten ließ wie heute. Aber für Menschen in Not eine mögliche Hilfe. So im Jahre 1911:
„Bitte – Werte Fach- und Berufsgenossen!
Schon im 19. Jahre total erblindet, körperlich gelähmt und völlig erwerbsunfähig, mit einer monatlichen Invalidenrente von nur 11 M, ist über mich, ohne mein Verschulden, die grenzenloseste, bitterste Not hereingebrochen, so dass ich mir aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen weiß. So will ich denn an die edlen wohltätigen Herzen aller werten Fach- und Berufsgenossen anklopfen und auf das herzlichste bitten, in kollegialischer Weise durch Gaben der Nächstenliebe meine große Not zu lindern. Wie leicht wäre es doch zu helfen, wenn jeder der vielen werten Kollegen eine Kleinigkeit gäbe; oder auch durch Sammlungen in den verschiedenen Klavierfabriken. So könnte mir auf diese Weise in meiner großen Not sehr große Hilfe gebracht werden. Mein innigster Dank sei allen von Herzen gewiß. Jede Gabe, auch die kleinste nimmt die Expedition d. Blattes gern entgegen und wird auch öffentlich darüber quittieren.
Mit kollegialischem Gruß
Gustav Landow,
Königsberg i. Pr. […] Instrumentenmacher und ehem. erster Stimmer und Intoneur der Firma C. J. Gebauhr“.
Es folgte eine Bescheinigung des Armenrates mit ergänzendem Text:
„Es wird hiermit bescheinigt, dass der Orgelbauer und Instrumentenmacher Gustav Landow […] erwerbsunfähig, mit seiner kranken und leidenden Frau in den dürftigsten Verhältnissen lebt. Dieselben befinden sich z. Zt in der denkbar größten Not und wäre schnelle, ausgiebige Hilfe nötig.“
Der Sohn des Gründers, Julius Gebauhr, starb am 25. Juli 1913. Ihm wurde in der „ZfI“ ein Nachruf gewidmet:
Julius Gebauhr wurde am 23. September 1852 in Königsberg geboren. Er besuchte das Gymnasium und wollte sich dem Jurastudium widmen. 20-jährig meldete er sich freiwillig bei den „Wrangel-Kürassieren“ und wurde später bei dem Regiment auch Reserveoffizier. „Dann begann für Julius Gebauhr die praktischen Studien als Klavierbauer, die äußerst gründlich und vielseitig waren. Nachdem er in einer schlesischen Klavierfabrik und später auch bei Ruschpler in Dresden den Klavierbau erlernt hatte, ging er im Jahre 1875 nach Amerika, um die amerikanische Klavierfabrikation und verschiedene der dortigen Fabriken, darunter auch die von Steinway & Sons, in ihren Einrichtungen kennen zu lernen. Wieder nach Königsberg zurückgekehrt, wurde er im Jahre 1877 vom Vater als Prokurist in die Firma aufgenommen, die er von da an auch selbständig leitete.“
Nach des Vaters Tod übernahm er die Fabrik. „Er gab der Fabrik eine moderne Richtung, wobei ihm seine Erfahrungen, die er im Auslande gemacht hatte, sehr zustatten kamen. […] Neben dem Export nach Russland und dem heimischen Absatz entwickelte sich ein besonders reger Geschäftsverkehr mit London, wo die Instrumente […] bereits im Jahre 1851 prämiert worden waren.“ Zusätzlich zu den oben erwähnten Prämierungen erhielten die Gebauhr´ischen Instrumente weitere Auszeichnungen 1892 und 1895 in Königsberg.
Zu seiner Beerdigung erwiesen ihm ein großes „Trauergefolge aus allen Schichten der Bevölkerung“ die letzte Ehre. „Er war einer der besten Bürger der Stadt, der sich dem Gemeinwohl in größter Selbstlosigkeit widmete. Die stattlichen Gebäude am Schlossteich, die Stadthalle, ist ihm zu danken; an ihrer Entstehung hat er gearbeitet, und sie ist ein stummer Zeuge von der Liebe des Entschlafenen zur Stadt. […] Leider wird die altangesehene, nun bald 80 Jahre bestehende Gebauhr´sche Fabrik aufgelöst werden müssen, falls sich kein Käufer dafür findet, da alle drei Söhne des Verblichenen andere Berufe ergriffen haben und deshalb kein Nachfolger im Geschäft vorhanden ist.“ Mit seinem Tod ging die Geschichte der Pianofortefabrik zu Ende.
Die gesammelten Erfahrungen in der Firma gaben zwei ehemaligen Mitarbeiter durch eine Neugründung am Ende des Jahres 1913 weiter: „Unter der Firma Ed. Bergau & Fr. Korittke ist in Königsberg […] ein Pianoforte-Magazin mit Reparaturwerkstatt eröffnet worden. Herr Bergau war 18 Jahr lang, davon die letzten 7 Jahre als Leiter, in der ehemaligen Pianofortefabrik von C. J. Gebauhr […] tätig, in welcher auch Herr Korittke seine Ausbildung erhalten hat“. „Fabrik und Firma werden im Aug. 1913 zum Verkauf angeboten, im Nov. 1913 wird die Firma als noch bestehend, im Dez. 1913 als ehemalig bezeichnet.“ (Henkel, Klavierlexikon)
Die Pianofabrik C. J. Gebauhr bestand schon lange nicht mehr, als sich 1940 der Obermeister der Musikinstrumentenmacher-Innung für Ostpreußen, Franz Haberer, Inhaber der Klavierfabrik „Schusterius“, anlässlich seines 50-jährigen Berufsjubiläums daran erinnerte, dass er nach seiner Lehre vier Jahr bei C. J. Gebauhr tätig war. Ehre – wem Ehre gebühret!